Kommentar

Letzte Generation: Was Protest darf

WIEN: ´LETZTE GENERATION´ LEGTE FR�HVERKEHR LAHM
WIEN: ´LETZTE GENERATION´ LEGTE FR�HVERKEHR LAHM(c) APA (EVA MANHART)
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Die Wiener Straßenblockaden der „Letzten Generation“ sind ein Ärgernis - so wie jede Form des gewaltlosen öffentlichen Einspruchs. Ihnen die Legitimation zu verneinen, lässt ein verrutschtes Verständnis der aufgeklärten Gesellschaft und des Bürgers in ihr befürchten.

Um acht Uhr am Dienstagmorgen fing er an, knapp vor neun war er vorbei - doch bei manchen Zeitgenossen reichte schon eine knappe Stunde Protest der Klimaschutzaktivisten der „Letzten Generation“, um so manche Sicherung durchbrennen zu lassen. „Wien komplett blockiert“, ließ der Chef der Wiener Volkspartei verkünden. „Die volle Härte des Gesetzes gegen die Klimaterroristen“ forderte der Generalsekretär der Freiheitlichen Partei.

Eine bemerkenswerte Wortwahl, die erkennen lässt, dass da jemand das gegenständliche Geschehen nicht so recht erfasst hat. Terrorismus ist der bewusste Einsatz von Gewalt, um Angst in der Bevölkerung zu schüren, und auf diese Weise politische Ziele zu erreichen. Doch welche Gewalt hat das Dutzend Klimaaktivisten ausgeübt, indem sie sich auf dem Gürtel und der Ringstraße niedersetzten, beziehungsweise leicht lösbar festklebten? Und welche Angst wollten sie damit bei der Öffentlichkeit im Allgemeinen und den durch ihre Blockade betroffenen Autofahrern im Besonderen schüren? Keine, muss man bei nüchterner Betrachtung festhalten.

Man steht nicht im Stau, man ist der Stau

Ein öffentliches Ärgernis verursachten die „Klimakleber“ mit ihrer Straßenblockade zweifellos. Aber ein öffentliches Ärgernis sind auch die unzähligen Zeitgenossen, die wider alle Vernunft der Ansicht sind, es sei eine gute Idee, zwecks Erreichung der Arbeitsstätte mit dem Auto in Wiens Mitte vordringen zu müssen. Regen die sich über den täglichen Stau ohne Klimaaktivisten auch so auf? Kommt ihnen bisweilen, wenn sie da so bei laufendem Motor vor sich hinwarten, der Gedanke, dass sie nicht im Stau stehen, sondern der Stau sind? Wer tut es sich denn freien Willens schon ganz ohne Klimablockaden an, innerhalb des Wiener Gürtels mit dem Auto umherzufahren (von Einsatzfahrzeugen abgesehen)? Das öffentliche Verkehrsnetz ist exzellent ausgebaut, und wer aus dem Umland pendelt, dem stehen mehr und mehr Park-and-Ride-Anlagen billig zur Verfügung.

Die nun laufende, für drei Wochen angekündigte Protestwelle der Aktivisten der „Letzten Generation“ legt einige grundlegende Missverständnisse zu Tage, die in Teilen der Gesellschaft zu einer verzerrten Wahrnehmung der Verhältnisse zu führen scheinen. Erstens: Ja, Protest ist eine Zumutung, sonst wäre er kein Protest. Die Frage, wie legitim er ist, leitet sich von seinem Anlass und seiner Form ab. Konkret: der Anlass für die Straßenblockaden ist die nur mehr von, gelinde gesagt, sehr tatsachenresistenten Menschen negierte Klimakrise. Sie vertieft sich wesentlich schneller, als man das erhofft hat. Sich eine Stunde lang auf die Straße zu setzen, um seine Mitbürger zu einem Umdenken aufzurufen, ist nicht nur legitim. Man müsste sich in einer offenen, liberalen, aufgeklärten Gesellschaft Sorgen machen, würde niemand protestieren. Die Form, in der das hier geschieht, ist schwer zu delegitimieren. Die Aktivisten zerstören kein Hab und Gut, sie leisten dezidiert nur passiven Widerstand, sie üben keine Gewalt aus. Das hebt die Straßenblockaden wohltuend von den eher kontraproduktiven und eine gewisse Kulturlosigkeit vermuten lassenden Schüttaktionen in Museen ab.

Demokratie ist nicht die Herrschaft der Masse

Das zweite Missverständnis hinsichtlich der Klimaproteste fußt in einer verrutschten Idee von Demokratie. Die ist mitnichten die Herrschaft der Mehrheit, über alle Minderheiten hinweg. Demokratie ist das Versprechen, dass es bei der nächsten Wahl anders ausgehen kann und darf. Wer das ermöglichen will, muss logischerweise Minderheiten schützen. Es mögen zudem zwar nur wenige Klimaaktivisten sein, die sich an den Straßenblockaden beteiligen. Ihr Anliegen betrifft aber im engsten Wortsinn jedermann. Ihm und damit den Aktivisten die Berechtigung zu entziehen, indem man sie gegen die Anzahl der Zulassungsbesitzer von Kraftfahrzeugen aufrechnet, führt auf ein abschüssiges Gleis Richtung Ochlokratie, also Herrschaft der Masse, der notfalls alle Mittel gegen die Wenigen legitim sind.

Ob das Blockieren von Straßen ein geeignetes Mittel ist, Mehrheiten für eine fundamentale, klimafreundliche Verhaltensänderung zu gewinnen, ist eine ganz andere Frage als jene, ob dieser Protest an sich legitim ist. Einspruch zu erheben ist kein Recht, das von seiner Wirkung abhängig gemacht werden darf. Die „Letzte Generation“ mag sich jedenfalls fragen, ob ihrem Anliegen nicht gedient wäre, wenn sie es erstens an sinnvollere und vom Einzelnen eher erreichbare Ziele knüpfen würde als an das nachweislich kaum wirkungsvolle Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und den Stopp neuer Öl- und Gasbohrungen in Österreich. Und wenn sie zweitens demonstrativ dafür sorgen würde, dass Blaulichtfahrzeuge tatsächlich jederzeit einen Weg vorbei an ihren Blockaden finden können. Ein Notfallpatient, der im Krankenwagen verstirbt, weil er nicht rechtzeitig ins Spital kommt, wäre fatal für die gesellschaftliche Unterstützung ihres Anliegens.

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