Gastkommentar

ORF/Privatmedien: Österreich hätte sich mehr verdient

(c) Peter Kufner
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Die Fassaden der Medienbranche bröckeln. Aber die Medienpolitik entpuppt sich als klientelpolitischer Aktionismus.

DIE AUTORIN

Mag. Anita Zielina, MBA (*1980) ist Gründerin und CEO des Better Leaders Lab, eines Do and Think Tanks und einer Beratungsagentur für gute Führung und strategisches Management. Sie ist ORF-Stiftungsrätin. Sie war davor u. a. bei „Stern“ und „NZZ“ als Medienmanagerin mit Fokus auf Innovation und Transformation tätig und leitete bis 2022 den Bereich Executive Education an der Newmark Journalism School der City University New York.

Jahrzehntelang war Österreichs Medienpolitik wie vieles im Land: strukturkonservativ, relativ unbeweglich, geprägt vom Geist der Konkordanz, selten mutig, nie radikal. Seit Kurzem kommt man aus dem Lesen von Gesetzesentwürfen rund um Medien gar nicht mehr heraus. Diese Veränderungswelle zeigt: Es tut sich so viel wie lang nicht. Das große Aber: Was sich tut, ist oft kleingeistiger, klientelpolitischer Aktionismus, keine strategische Transformation und Innovation.

Wer die heutige Medienpolitik und den Konflikt zwischen ORF und privaten Medien verstehen will, muss in die Vergangenheit schauen. Österreichs Verlegerinnen und Medieninhaber haben zu einem weiten Teil die Digitalisierung ihrer Produkte und Geschäftsmodelle verschlafen. Während in anderen Ländern schon Erlöse erodierten und sich die Mediennutzung vor allem jüngerer Generationen komplett veränderte, war die heimische Medienpolitik vom Narrativ geprägt, dass es bei „uns“ nicht so weit kommen würde.

Die wenigsten der Versäumnisse passierten unabsichtlich – die meisten Medienhäuser lebten lang bewusst gut von abgeschöpften Gewinnen, redaktioneller Zweiklassengesellschaft, Online-Prekariatsverträgen und mangelnder Investitionsbereitschaft in digitale Innovation.

2023 ist das Jahr, in dem die Fassade endgültig bröckelt – die Veränderung im Nutzungsverhalten beschleunigt sich, klassische Werbeeinnahmen brechen schneller weg als projiziert, digitale Abos können nur einen Teil des Einbruches kompensieren. Die Marktteilnehmer sind, verständlicherweise, nervös. Kündigungswellen, wie bisher nur aus Deutschland oder den USA bekannt, erreichen heimische Medienhäuser.

Jeder verlorene Journalistenjob ist ein Drama für Österreichs von Korruption gezeichnete Demokratie, in der die Politik Medien oft als verlängerten Arm ihrer Macht versteht und sie sich dementsprechend mit Inseraten gefügig macht. Der Digital News Report des Reuters Institute zeigt, dass (wie in vielen Ländern) auch bei uns das allgemeine Interesse an Nachrichten schwindet und das Vertrauen in etablierte Medien sinkt. Ausgedünnte Redaktionen können dem Fake-News-Trend nur wenig entgegensetzen.

Panik ist ein schlechter Stratege

Medien-Start-ups, die Innovation in den Markt tragen, gibt es hierzulande nur wenige, mit gutem Grund: Österreichs aktuelle Förderpolitik belohnt weniger Innovation als Beharrungskräfte.

Ausreichend Grund also, in Panik zu verfallen. Aber Panik ist ein schlechter Gesetzgeber und ein schlechter Stratege. Allein so lässt sich erklären, warum sich der Vorstand des „Standard“ zu militaristischen Vergleichen hinreißen lässt, indem er ORF.at als „Massenvernichtungswaffe“ für Verlage bezeichnet. Ratlosigkeit spricht auch aus der Politik, die via RTR und anderen Vehikeln unter dem Mantel der Transformationsförderung Millionen im Gießkannenprinzip an bestehende Medienunternehmen ausschüttet, wohl wissend, dass damit nur Löcher im System notdürftig gestopft werden und gerade neue Marktteilnehmer und Innovation so eher verhindert werden. Sie spricht aus dem ORF, der sich mit dem VÖZ auf einen unwürdigen Kuhhandel rund um die genaue Meldungsanzahl auf ORF.at einlässt, um sich Freiheiten im digitalen Raum zu erkaufen – und sich derweil nur behäbig selbst reformiert.

Es geht um die Konsumenten

Nie kommt in der aktuellen Diskussion der Marktteilnehmer vor, um den es eigentlich gehen sollte: der Kunde, die Leserin, der Zuseher, die Konsumentin. Sie haben keine Stimme, kein Votum, kein Gewicht. Die Entstehungsgeschichte des neuen ORF-Gesetzes ist ein Paradefall: Es wird von allen Seiten geklüngelt und lobbyiert statt transparent verhandelt; gestichelt und gedroht, statt konstruktiv darüber nachgedacht, wie man gemeinsam auf dem kleinen Markt besser bestehen könnte.

Ein starker, unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist eine wichtige Bastion gegen Vertrauensverlust und somit ein Cordon sanitaire, den sich eine Demokratie gerade heute leisten sollte. Wie findet man aber die richtige Balance, um andere Marktteilnehmer nicht zu benachteiligen, dem ORF dennoch zu ermöglichen, seine Pflichten zu erfüllen?

Auch um jüngere Generationen zu erreichen, muss der ORF digital mehr Freiheiten haben, gerade auch im audio-visuellen Bereich – dem entspricht das neue ORF-Gesetz, mit dem endlich auch die Sieben-Tage-Regelung fällt. Problematisch ist aus Ökosystem-Perspektive vor allem die Marktverzerrung im Werbemarkt – hier hätte der Gesetzgeber noch stärkere Einschränkungen vorsehen können, auch auf die Gefahr hin, dass der ORF künftig mit weniger Erlösen auskommen und sich radikaler umstrukturieren muss. Dazu hätte es einer breiten Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Auftrag bedurft, die aber so nicht stattgefunden hat.

Anders sieht es im Nutzermarkt aus: Dass auch nur ein einziger Kunde mehr ein digitales Zeitungsabo abschließt, weil auf ORF.at weniger Nachrichtenmeldungen publiziert werden, ist illusorisches Wunschdenken. Leser und Leserinnen zahlen für Produkte, die ihre Bedürfnisse erfüllen und ein angenehmes Gesamtnutzungserlebnis bieten, nicht aus Mangel an Alternativen. Die aktuelle Beschränkung der Meldungen auf ORF.at auf 350 pro Woche hilft niemandem und schadet vor allem den Leserinnen und Lesern.

Dass nun Gehaltstransparenz im ORF vorgesehen ist, sollte prinzipiell als Vorbild für alle öffentlichen Institutionen gelten. Dass dabei eine willkürliche Grenze eingezogen wurde, die wohl zielgerichtet vor allem prominente ORF-Mitarbeiter den Boulevardmedien zum Fraß vorwerfen will, ist nur allzu offensichtlich. Mehr Mut hätte man beim Incentivieren von Kollaboration zeigen können: So wie die APA mittlerweile in vielen Bereichen technologische Infrastruktur für das österreichische Verlagswesen herstellt, könnte auch der ORF in Elementen zur Plattform werden, die Private mitnutzen können.

Wieder keine Gremienreform

Dass die Finanzierung des ORF in Zukunft mittels Haushaltsabgabe erfolgt, ist konsequent und ermöglicht – anders als Bugdetfinanzierung – ein Maximum an Politikferne. Den großen weißen Elefanten hat der Gesetzgeber aber auch diesmal wieder nicht angerührt: Die Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, allen voran der Stiftungsrat, gehören dringend reformiert, nach dem Motto: Maximale Politikferne, maximale Transparenz, maximale Kompetenz.

Alles in allem: Der ORF – und seine Kundinnen und Kunden – hätten sich eine mutigere Reform verdient gehabt. Wie geht es jetzt weiter? Verlegerinnen und Verleger, Privatsender und der ORF wären gut beraten, sich statt mit sich selbst nun mit ihren Konsumentinnen und Konsumenten zu befassen und radikale Kollaboration statt Lobbyismus als Motto auszurufen. Sonst wird es tatsächlich eng im kleinen österreichischen Medienmarkt.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2023)

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