Die Katholische Kirche und der Unternehmerverband rügen erstmals offen den Premier. Benedikt XVI. mahnte, Gesellschaft und ihre Institutionen müssten zu ihren moralischen Wurzeln zurückkehren.
Rom. Kein Tag vergeht, ohne dass die Italiener Details aus Ermittlungen erfahren, die die Mailänder Staatsanwaltschaft gegen den Ministerpräsidenten führt. Da berichten Callgirls von Sexorgien in Silvio Berlusconis Privatresidenz nahe Mailand, da erhärtet sich der Verdacht, dass das Ex-Showgirl Nicole Minetti, heute Abgeordnete im lombardischen Regionalparlament, einen „Harem“ für seinen Mentor organisiert hat.
Berlusconi selbst sieht sich als Opfer linker Kampagnen. Talkmaster Lad Gerner beschimpfte er per Telefonschaltung in dessen Sendung gar, ein „ekelhaftes Fernsehbordell“ darzubieten. Erwartungsgemäß weigerte sich Berlusconi, zum Verdacht der Prostitution von Minderjährigen und des Amtsmissbrauchs vor Gericht Stellung zu nehmen.
Doch jetzt kommt auch Kritik aus ungewohnter Richtung. Scharf etwa verurteilte Emma Marcegaglia, Präsidentin des regierungsnahen Unternehmerverbandes, den politischen Stillstand in Italien. „Wir werden sehen, ob die Regierung zu Reformen fähig ist“, sagte sie. Ihr Wunschkandidat als Chef einer neuen Mitte-Rechts-Regierung wäre Finanzminister Giulio Tremonti.
„Dunkle Wolken über Italien“
Noch gefährlicher ist die Kritik jener Macht, ohne deren „Segen“ noch keine italienische Regierung regieren konnte. Ohne Namen zu nennen, äußerten sich Papst und die Bischofskonferenz „zutiefst besorgt über den Verfall von Anstand und Moral“. Dass Benedikt XVI. mahnte, Gesellschaft und ihre Institutionen müssten zu ihren moralischen Wurzeln zurückkehren, verstand jeder in Italien. Am Dienstag warnte auch der Präsident der Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, vor den „dunklen Wolken über Italien“ und der „moralischen Krankheit“, die das Land befallen habe. „Wer immer eine öffentliche Position akzeptiert, muss Ernsthaftigkeit, persönliche Disziplin, Maß und Würde verstehen, die das Amt mit sich bringen“, sagte der Kardinal. Gern rühmte sich Berlusconi bisher damit, die kirchenfreundlichste Regierung anzuführen, die Italien je hatte.
Nur seine Anhänger lassen sich nicht beirren. Laut einer neuen Umfrage liegt Berlusconis „Volk der Freiheit“ stabil bei 30Prozent, also vor allen anderen Parteien. Zugleich fordert aber jeder Zweite seinen Rücktritt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26. Jänner 2011)