Leitartikel

Wer will die "Zeit im Bild" hinter der Paywall sehen?

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++ THEMENBILD ++ TAG DER PRESSEFREIHEIT: TITELSEITEN HEIMISCHER ZEITUNGEN BLIEBEN LEERAPA/HELMUT FOHRINGER
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Die neuen Regeln für den ORF behindern einen funktionierenden Medienmarkt. Dahinter steckt kein politisches Versagen, sondern langfristiges Kalkül. Am Mittwoch erschien daher die „Presse“ mit einer leeren Titelseite, aus Protest.

Ein kurzes Gedankenexperiment: Es ist 19.30 Uhr, die „Zeit im Bild“ beginnt, und auf dem Bildschirm ist statt der Nachrichten ein Fenster zu sehen, das neben der E-Mail-Adresse auch noch die GIS-Nummer abfragt. Der Anmeldeprozess (inklusive verzweifelter Suche nach den ORF-Unterlagen, auf denen die gesuchte Zahlenkombination vermerkt ist) dauert so lang, dass man gerade noch rechtzeitig zu Christa Kummers Wetterbericht kommt.

Schwer vorstellbar? Vielleicht. Aber das Beispiel illustriert, wie unterschiedlich die Wettbewerbsbedingungen für Medienanbieter sind. Hier private Verlage, die auf Kosten der Reichweite Paywalls aufziehen müssen, um ihr journalistisches Angebot zu finanzieren, dort der Riese vom Küniglberg, der künftig via Haushaltsabgabe mit garantierten Zwangsgebühren von allen rechnen kann, aber so tun darf, als wäre sein breites Angebot „gratis“ zu bekommen.

Auf diese Schieflage wollen heute, am Tag der Medienfreiheit und zu Beginn der Begutachtung der ORF-Digital- und Beitrags-Novelle, der Verlegerverband und die Zeitungsverlage gemeinsam aufmerksam machen. Freilich nicht ohne den Hinweis, dass, während wir in Österreich diese Fragen frei diskutieren dürfen, Journalistinnen und Journalisten von Moskau bis Teheran täglich ihr Leben riskieren, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen.

Aus Sicht der privaten Verlage zementiert und vergrößert die neue gesetzliche Grundlage die finanzielle Überlegenheit des ORF, schafft dadurch ein Beinahemonopol und nimmt für Pluralität und Demokratie unverzichtbaren Alternativangeboten die ökonomische Luft zum Atmen. Ein paar Eckdaten: Durch die neue Haushaltsabgabe, die an die Stelle der ungeliebten GIS tritt, bekommt der ORF rund 710 Millionen Euro im Jahr, um die Kosten für den öffentlich-rechtlichen Auftrag abzudecken. Diese Abgabe ist zwar je nach Bundesland um bis zu 20 Prozent niedriger als bisher, muss nun aber (mit Ausnahme von Befreiungen aus sozialen Gründen) unabhängig von der tatsächlichen Nutzung des ORF bezahlt werden. Die Chance, mit einem Teil dieser Abgabe auch private Medien aus dem Titel einer medialen Grundversorgung zu finanzieren, wurde von der Regierung ebenso ungenutzt gelassen wie eine Wahlmöglichkeit, etwa: „Wollen Sie Ihren Beitrag lieber einem anderen Medium Ihrer Wahl zukommen lassen?“

Dazu kommen beim ORF weitere rund 300 Millionen an Werbeeinnahmen, die durch Popcorn-Radio und Mainstream-Unterhaltung von der Tanzshow bis „Soko Sowieso“ auf öffentlich-rechtlichen Kanälen mit dem rot-weiß-roten Auge abgeräumt werden. Damit bekommt der ORF zehn Mal so viel öffentliches Geld wie alle Privaten zusammen.

In der ebenfalls zur Begutachtung aufliegenden Digitalnovelle werden die künftigen Möglichkeiten des ORF auf digitalen Kanälen geregelt. Diese werden an vielen Stellen ausgeweitet (die Sieben-Tage-Frist in der TV-Thek fällt, es werden Online-only-Beiträge erlaubt etc.), dafür wird die Anzahl der Meldungen auf der blauen Seite (ORF.at) von 900 auf 350 Meldungen pro Woche deutlich reduziert.

Diese Einschränkung reicht nicht aus. Die Erlaubnis, in sozialen Medien Videobeiträge zu produzieren, die vorher nicht im linearen Programm gesendet wurden, wird den ORF bei den Jüngeren noch stärker machen. Dazu kommt, dass diese Gruppe, die oft keine GIS gezahlt hat, durch die zwangsweise eingehobene Haushaltsabgabe für Abo-Angebote anderer Medien schwerer erreichbar sein wird.

Durch die Versäumnisse, die tatsächlich der bewusste Versuch sind, Medien nach eigenem Gutdünken zu steuern, bringt die Politik öffentlich-rechtliche und private Medienmacher dazu, eine Art Stellvertreterstreit um öffentliche Mittel führen zu müssen. In diese Falle sollte man nicht tappen. Stattdessen gilt es, die Kräfte zu bündeln, um die Politik mit Nachdruck in die Pflicht zu nehmen. Ein funktionierender Medienmarkt ist nämlich keine Geschmackssache, sondern Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

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