Musik und Justiz

Ed Sheeran vor Gericht: Ab wann ist ein Popsong originell?

Ed Sheeran Copyright Lawsuit
Ed Sheeran Copyright Lawsuit(c) Elizabeth Williams / AP / picturedesk.com (Elizabeth Williams)
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Hat Ed Sheeran eine Akkordfolge von einem Marvin-Gaye-Song geklaut? Hinter dieser Frage, die gerade vor einem New Yorker Gericht geklärt wird, steht ein größeres Problem.

Das klingt doch wie . . . Dieser Gedanke kommt einem oft beim Musikhören. So kann man davon ausgehen, dass die Erben des 2003 verstorbenen US-Songwriters Ed Townsend beim Anhören von Ed Sheerans Lied „Thinking Out Loud“ nicht die Ersten waren, die sich an den Soul-Klassiker „Let's Get It On“ erinnert fühlten. Der Hit von 1973 (den Townsend gemeinsam mit Interpret Marvin Gaye geschrieben hatte) und Sheerans 2014 veröffentlichte Ode an die ewige Liebe unterscheiden sich zwar in Melodie und Inhalt: Wo der britische Popstar „Darling, I will be loving you 'til we're 70“ schmachtet, regte Marvin Gaye mit „Let's get it on“ einst zum zügigen Beischlaf an. Doch beide Lieder teilen den synkopisch dahinwiegenden Gitarrenrhythmus – und eine sehr ähnliche Akkordfolge. Das ließ Townsends Erben nun vor ein New Yorker Gericht ziehen: Ed Sheeran habe die Komposition ohne Erlaubnis kopiert, werfen sie ihm vor.

Die Ähnlichkeit war Sheeran selbst nicht entgangen. 2014 ließ er bei einem Konzert in Zürich „Thinking Out Loud“ nahtlos in „Let's Get It On“ übergehen. Ein Video davon – aufgenommen von einem Fan im Publikum und auf YouTube gestellt – führen die Kläger als Beweismittel dafür an, dass Sheeran abgeschrieben hätte. Habe er nicht, verteidigt dieser sich, denn solche Mash-ups ließen sich ganz einfach mit sehr vielen Popsongs anfertigen: „Du kannst von ,Let It Be‘ zu ,No Woman, No Cry‘ wechseln und wieder zurück.“ Die Palette an Harmonien, die im Mainstream-Pop üblich sind, sei schließlich begrenzt. Um das zu demonstrieren, zückte er im Gerichtssaal gar die Gitarre.

Hinter diesem Fall steckt eine Frage, deren Beantwortung für die gesamte Popindustrie weitreichende Folgen haben könnte: Wie originell – und damit urheberrechtlich schützbar – ist denn die Kombination der Rhythmen und Akkorde, die Sheeran hier geklaut haben soll? Und ab welchem Punkt wird aus generischen musikalischen Bausteinen eine einzigartige Komposition?

Vier Akkorde und die „Magie“

Dass etwa jemand das Copyright für die Akkordprogression „I–V–vi–IV“ (in G-Dur würde sie lauten: G, D, e-Moll, C) vor Gericht erkämpfen könnte, scheint schwer vorstellbar. Ein guter Teil der Popgeschichte würde damit zu Plagiaten: Unter den sogenannten Four-Chord-Songs, die die Formel verwenden, sind Hits von „Don't Stop Believing“ bis „Waka Waka“ – und auch das von Sheeran angeführte „Let It Be“. Sein „Thinking Out Loud“ basiert, wie auch „Let's Get It On“, auf einer etwas weniger gängigen Abwandlung dieser Akkordfolge, wobei er anstelle des Moll-Akkords einen Dur-Akkord spielt. Was die Anwälte der Kläger nicht zu beeindrucken scheint: Sheeran habe sich an der „Magie“ des Songs bedient, meinen sie. „Ich muss das Erbe meines Vaters schützen“, sagte Ed Townsends Tochter beim Prozessstart.

Es geht nicht nur um Millionen, sondern auch um die Zukunft des Songwritings. Die Befürchtung einiger Experten: Mit jeder derartigen Klage, die erfolgreich ist, könnten musikalische Grundelemente, die bislang allen Menschen zur Verfügung standen, quasi privatisiert werden. Ein aufsehenerregendes Urteil wurde 2018 gefällt: Auch da ging es um einen Song von Marvin Gaye, wobei dessen Familie damals selbst einen Gerichtsprozess gegen Robin Thicke und Pharrell Williams anstrengte – und gewann. Deren Song „Blurred Lines“ klingt demnach zu sehr nach Gayes Disco-Hit „Got To Give It Up“. Die Argumentation – angeführt wurde eine „Konstellation“ von Ähnlichkeiten – kam vielen allzu vage vor. Die Richterin Jacqueline H. Nguyen, die gegen das Urteil der Jury war, meinte, den Klägern sei damit etwas bislang Neuartiges gelungen: „einen Musikstil urheberrechtlich zu schützen“.

2020 fiel ein Urteil anders aus: Led Zeppelin wurde vorgeworfen, das charakteristische Gitarren-Arpeggio und die absteigende Bassmelodie von „Stairway to Heaven“ vom Instrumentalstück „Taurus“ der Band Spirit abgekupfert zu haben. Led Zeppelin gewannen den Rechtsstreit. Bei so gängigen musikalischen Elementen müsse ein Song schon „praktisch identisch“ sein, um als gestohlen gelten zu können, urteilte hier das Gericht.

Für Ed Sheeran, der derzeit ein neues Album promotet, ist es übrigens nicht der erste solche Prozess. Nach einer außergerichtlichen Einigung fügte er zur Liste der Co-Komponisten seines Songs „Photograph“ den englischen Sänger Matt Cardle hinzu, der darin sein Lied „Amazing“ wiedererkannt haben will. Und Sheerans Hit „Shape of You“ enthält offiziell eine Passage, die auf dem 1990er-Jahre-R&B-Song „No Scrubs“ von TLC basiert. Behauptete Ähnlichkeiten zum wenig bekannten Lied „Oh Why“ konnten indes 2022 vor Gericht nicht verifiziert werden. Nach diesem Prozess forderte Sheeran mittels Instagram-Posting ein Ende solcher Klagen: Es gebe im Pop doch nur eine gewisse Anzahl an Noten. „Wenn jeden Tag 60.000 Lieder auf Spotify hochgeladen werden, müssen Zufälle passieren.“

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