Medizin

Der Bauch denkt immer mit

Ob wir entspannen können, depressiv oder gut gelaunt sind, hängt auch mit den Darmbakterien zusammen – sie haben einen starken Einfluss auf den Vagusnerv. Forschende der Med-Uni Graz untersuchen das Zusammenspiel.

Er ist ein wahrer Alleskönner. Ein gut funktionierender Vagusnerv sorgt etwa für innere Ruhe, Wohlbefinden, guten Schlaf oder eine bessere Wundheilung. Funktioniert dieser wichtige Hirnnerv nicht optimal, kann das gesundheitsschädigend und beispielsweise das Risiko, an einer Depression zu erkranken, erhöht sein. Der Vagusnerv zieht sich vom Hirn bis in den Rumpf, verbindet alle Organe mit dem Gehirn – und ist vor allem ein ganz wichtiger Teil der sogenannten Darm-Gehirn-Achse. Das ist in Wissenschaftskreisen nicht neu. Ungeklärt war bis vor Kurzem allerdings: Welche Darmbakterien sind es denn nun, die den Vagusnerv positiv beeinflussen, sodass er sein gutes Werk für uns tun kann? An der Med-Uni Graz hat man diese Frage kürzlich beantwortet.

„Wir haben 2022 erstmalig erhoben, welche Darmbakterien beim Menschen mit einer guten Funktion des Vagusnervs in Verbindung stehen“, berichtet Sabrina Mörkl von der Klinischen Abteilung für Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie. Dazu wurden 73Personen in eine Studie einbezogen, die im Journal Dialogs in Clinical Neuroscience veröffentlicht wurde.

Was bei Depressionen fehlt

Die gefundenen Bakterienfamilien haben so sperrige Namen wie Clostridia, Clostridiales, Lachnospira, Ruminococcaceae, Faecalibacterium, Lactobacillales, Bacilli, Streptococcaceae und Streptococcus. Sie produzieren jedenfalls kurzkettige Fettsäuren, die für eine gute Funktion des Vagusnervs offensichtlich sehr wichtig sind. „Depressive haben übrigens viel weniger von genau diesen positiven Darmbakterien“, sagt Mörkl.

In der Studie fand man zudem heraus, dass Probandinnen und Probanden, deren Darmflora mit vielen verschiedenen Bakterienstämmen gesegnet war, auch einen fitten Vagusnerv aufwiesen. Sie litten viel seltener und weniger an sogenannter Silent Inflammation, also stillen, unbemerkten Entzündungen, die u. a. das Immunsystem schwächen und zu Asthma, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Krebs führen können.

Warum manche Menschen mehr von den erwähnten guten Bakterien haben, andere weniger, hängt von unendlich vielen Faktoren ab, von denen viele noch nicht bekannt sind. „Was wir wissen, ist, dass unter anderem Alter, hoher Body-Mass-Index oder eine niedrige Artenvielfalt der Darmbakterien das Geschehen negativ beeinflussen“, erläutert Mörkl.

Die Ernährung ist nicht in die Studie eingeflossen, hat aber wohl einen nicht zu verachtenden Stellenwert. V. a. Ballaststoffe wären da zu erwähnen. Schließlich sind sie die Hauptquelle für die Energie der Darmbakterien, die genau daraus die für den Vagusnerv so wichtigen kurzkettigen Fettsäuren produzieren. Aber auch Probiotika sind gutes Futter für das Darmmikrobiom und dessen Einfluss auf Gesundheit und Krankheit. Es gab bereits Versuche, Probiotika als additive Therapie bei Depressionen einzusetzen, die aber scheiterten. Vielleicht, weil man irgendwelche Probiotika nahm, ohne auf deren spezifische Bakterienzusammensetzung zu achten? Darum versucht man es in Graz nun anders. „Wir machen derzeit eine Studie an depressiven Patienten mit jenen Probiotika, die viele Bakterienstämme beinhalten, die kurzkettige Fettsäuren produzieren“, sagt Mörkl.

Im Juni wird man mehr wissen und vielleicht eine neue zusätzliche Therapiemöglichkeit für Menschen mit Depression haben. (cr)

Lexikon

Der Vagusnerv entspringt im Gehirn und ist der größte Nerv des vegetativen Nervensystems. Er verläuft paarig, das heißt in der rechten und linken Körperhälfte.

Die Darmflora (Darmmikrobiom) ist die Gesamtheit aller Darmbakterien. Schätzungsweise sind es zehn Billionen an der Zahl und 500 bis 1000 verschiedene Arten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2023)

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