Lebensmittel

Versorgungssicherheit: Alte Fehler nicht noch einmal machen

Bisher war es in Österreich nicht möglich, Lagerbestände und Bewegungsdaten der Produkte einheitlich zu erheben. Das Projekt „Syri“ kann diese Informationen automatisch sammeln. Mit allen großen Lebensmittelhändlern im Team rüstet sich Österreich so für zukünftige Krisen.

Haben Sie am 12. März 2020 auch solche SMS bekommen, in denen es um die Totalsperre der Geschäfte in Österreich ging? Die Fake News verbreiteten sich schlagartig: „Supermärkte werden gesperrt!“, „Blockabfertigung im Supermarkt ab Montag“. Die Hamsterkäufe explodierten, und ab Montag, dem 16. 3., waren Österreich und die halbe Welt im ersten Lockdown der Coronapandemie.

Drei Jahre später ist die Gesellschaft reicher an Erfahrungen, und die Wissenschaft will daraus Lösungen für künftige Krisen stricken. „Während der Pandemie hat das Landwirtschaftsministerium in Kooperation mit der Wirtschaftskammer manuell Daten erhoben, wie es um die Lagerstände und Situation der Lebensmittelbranche steht“, erklärt Michael Herburger von der FH Oberösterreich in Steyr. Er leitet das Projekt „Syri“ (Systemisches Risikomanagement und Resilienzplanung für die österreichische Lebensmittel-Versorgungssicherheit), das diese mühsame Handarbeit automatisieren wird. Denn nicht nur in Krisen durch Krankheitserreger bangt die Welt um die Sicherheit der Versorgung mit Lebensmitteln. Auch wenn ein Blackout droht, die Energieversorgung knapp wird oder der Landesfrieden von Produktionsländern gefährdet ist, kann es zu Engpässen kommen.

„In der Pandemie haben wir gesehen, wie groß der Forschungsbedarf ist, um Daten aus der Lebensmittelbranche automatisiert zu erheben“, sagt Herburger. „Wir haben es geschafft, alle großen Lebensmittel-Einzelhändler in Österreich an einen Tisch zu bringen und in dem Projekt auch mit den wichtigen Akteuren aus der Versorgungskette zu verbinden“, berichtet der Forscher stolz. Denn diese Hürde schien anfangs sehr hoch: Welches Unternehmen möchte denn Einblick in seine Daten geben, wenn die Mitbewerber auch im Projekt dabei sind?

Die Konkurrenten sitzen in einem Boot

Die Sorge um die Konkurrenz war bei den Lebensmittelhändlern gegeben. „Daher haben wir eine besonders sichere Datenbank-Infrastruktur aufgebaut, sodass keine internen Informationen nach außen gelangen“, sagt Herburger. Die Förderung stammt vom Bundesministerium für Finanzen. Partner im Projekt sind auch das Landwirtschaftsministerium, der Agrarmarkt Austria, der Complexity Science Hub sowie Boku und Vet-Med-Uni Wien.

Das Konsortium sammelt nun die Bestandsdaten und Bewegungsdaten aus den großen Lebensmittelketten. „So kennen wir die Lieferanten und Sublieferanten von den beteiligten Unternehmen und können ein Gesamtbild zeichnen, das einem Einzelnen nicht zur Verfügung stehen würde“, erklärt Herburger. Das System für diese Daten-Infrastruktur entsteht jetzt in Form eines Prototypen, der dann – wenn er fertig ist – in den Standby-Modus geht. „Und bei der nächsten Krise wird das Syri-System entsprechend aktiviert, damit die Unternehmen nicht mehr manuell ihre Daten melden müssen und Entscheidungsträger alle Informationen haben“, sagt Herburger. Aus alten Lücken lernen, um in neuen Stresssituationen besser gewappnet zu sein.

Weitere Hürden bei der Installation dieses System reichten von der Frage, welche Daten jedes Unternehmen übermitteln soll, bis zur Diskussion, in welcher Form die Übermittlung stattfinden soll. „Das muss täglich automatisiert klappen, und die IT-Abteilungen der Firmen haben ja ohnehin schon so viel zu tun.“ Inzwischen ist eine klare Basis gefunden, über die Lagerstände und Bewegungsdaten für die fünf größten Produktgruppen im Lebensmittelbereich verglichen werden können: Fleisch; Obst und Gemüse; Getreide und Teigwaren; Milchprodukte; Tierfutter. „Jetzt können wir Risiko-Szenarien simulieren, die dann sichtbar machen, was passieren kann und wo kritische Akteure sind“, sagt Herburger. So wäre jedem einzelnen Lebensmittelbetrieb wohl nicht ersichtlich, dass ein gewisses Unternehmen in der Region auch alle Konkurrenten beliefert. Solche Engstellen führen zu möglichen Unsicherheiten in der Versorgungskette. „Auch die Folgen von Wassermangel oder Erdgas-Verknappung sollten diese Systeme berücksichtigen“, sagt Herburger, dessen Team viele Bedrohungsszenarien durchspielt.

In Zahlen

5Produktgruppen der Lebensmittelbranche erfasst das System „Syri“: Die Lagerdaten von Fleisch, Obst/Gemüse, Getreide/Mehl/Teigwaren, Milchprodukten und Futtermittel werden von den beteiligten Unternehmen automatisch übermittelt.

~70 Szenarien,
die in Österreich die Versorgungssicherheit gefährden können, hat das Verteidigungsministerium zusammengefasst. Die Forschenden der FH OÖ spielen einige davon mit dem Konsortium aus Handel und Wissenschaft in dem Projekt durch: zum Beispiel, was passiert, wenn ein Blackout eintritt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2023)

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