Populismusforschung

Nicht alle, die populistische Parteien wählen, sind Populisten

Ein Salzburger Forschungsteam ergründet, wie populistische Einstellungen in der Bevölkerung entstehen. Seine Forderung: Um die diffusen Emotionen zu messen, aus denen heraus sie sich bilden, braucht es neue Methoden und Befragungsszenarien.

Reinhard Heinisch gehört zu den Politologen, denen es weniger darum geht, politische Phänomene, etwa konkrete Wahlergebnisse, zu bewerten, als die dahinterliegenden Mechanismen zu verstehen. Ihn interessiere, „unter welchen Umständen bestimmte Parteien stärker werden oder unter welchen Bedingungen Menschen mit politischem Frust zur Wahl gehen oder eher zu Hause bleiben – jedoch nicht nur theoretisch, sondern empirisch überprüfbar“.

Ein Problem dabei ist, dass Menschen die wahren Motive ihres Handelns nicht immer mitteilen. Der empirische Zugang – also das Erheben von Daten über politische Orientierungen – ist gerade in der vergleichenden Populismusforschung eine Herausforderung. In einem EU-Projekt untersuchte Heinisch gemeinsam mit seinem Team an der Uni Salzburg populistische Einstellungen bei Bürgerinnen und Bürgern sowie deren Ursachen und Konsequenzen.

Die Erfolge populistischer oder neuer radikaler Parteien sind nicht mehr allein mit klassischen Ansätzen – etwa der rationalen Verhaltenslogik – zu erklären, wie Heinisch schon in früheren Publikationen darlegte. Immer häufiger würden Politikerinnen und Politiker nicht wegen ihrer Programme oder Kompetenzen gewählt, oder weil sie einer bestimmten Gruppe Verbesserungen in Aussicht stellten, sondern aus einer diffusen Emotion heraus, etwa aus Frustration oder einem Ohnmachtsgefühl.

Ereignisse werden umgedeutet

Die Ursache dieser Emotionen sind laut dem Salzburger Populismusforscher oft Situationen, die zwar per se nicht politisch konnotiert seien, etwa Flüchtlingsbewegungen oder Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, jedoch von populistischen Parteien mit politischer Symbolik aufgeladen würden. Und zwar durch Umdeuten (Framing), Signalisieren (Cueing) oder Konditionieren. Die Akteurinnen und Akteure bringen einzelne Ereignisse mit bestimmten politischen Ursachen in Verbindung. So werden Wetterphänomene Teil der Klima-Agenda und Impf-Aufrufe zum Symbol für einen überbordenden Staat. Dadurch gelinge es, bestehende Bindungen an Traditionsparteien aufzulösen, latent vorhandene Abstiegsängste und ein in Zeiten des Wandels erhöhtes Bedürfnis nach Sicherheit anzusprechen, erklärt Heinisch.

Sein Projekt mit dem Titel „Populism and Civic Engagement (Pace)“, das aus dem EU-Innovationsprogramm Horizon 2020 gefördert wurde, setzte auf neuere Umfragetechniken, um Emotionen, subjektive Erfahrungen und scheinbar unpolitische Ursachen von politischem Verhalten zu messen. Es wurde zum Beispiel mit Szenarien, mit innovativen Frageformulierungen und Umfrage-Experimenten gearbeitet. Auch wurden Computersimulationen und maschinelles Lernen eingesetzt. Die gewählten Methoden sollten dazu beitragen, sozial erwünschte Antworten oder Antwortverweigerungen so weit wie möglich zu vermeiden, aber auch den Sprachgebrauch von Nichtexperten zu berücksichtigen und Was-wäre-wenn-Szenarien zu analysieren.

Ratlosigkeit gemäßigter Kräfte

Die Ergebnisse des „Pace“-Projekts werden auch in zwei Büchern vorgestellt. Derzeit entsteht dazu die Publikation „Diverse Voices on Populism“ (Nomos-Verlag; mit Aneta Cekikj and Klaudia Koxha). Als zusammengefasster Befund ergibt sich für Heinisch eine prekäre Lage liberaler Demokratien in Westeuropa, besonders aber in Österreich. Notwendige Institutionen, wie etwa Parteien, hätten vielfach ihre Legitimität verloren. Dies führe zu einem großen Vertrauensverlust aufseiten der Bevölkerung, der es zudem auch an „Demokratiebildung“ fehle. „Selbst bei den Jungen ist die Digital Literacy von Medienkonsumenten stark unterentwickelt. Digitalen Informationsquellen wird unabhängig ihrer Güte bei Recherche und Evidenz vertraut“, resümiert Heinisch.

Gemäßigten politischen Kräften fehlten Strategien, wie mit populistischen Parteien umzugehen sei. „Anstatt sie zu entzaubern, indem man immer wieder auf ihre programmatischen Widersprüche hinweist und der Sachkompetenz ihrer Politiker stärker auf den Zahn fühlt, validiert man die Programme dieser Parteien, indem man oft ihre Agenda und sogar Wortwahl übernimmt“, sagt er. Nachsatz: „Und dann wundert man sich über die Wahlerfolge dieser Parteien.“

Lexikon

Populismus kann sich auf den Politikstil, den politischen Diskurs, die Strategien politischer Akteurinnen und Akteure oder auch auf die Ideologie beziehen.

Der Kern der Ideologie ist der Glaube an einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen einer (korrupten) Elite und einem (der Souveränität beraubten, aber einheitlichen) Volk. Diese Grundeinstellung ist zunächst weder links noch rechts, kann sich aber mit radikal rechten oder linken Positionen verbinden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2023)

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