Deutschland

Der erstaunliche Einbruch der Industrie

Die Chemie ist einer der wenigen Industriezweige in Deutschland, deren Stimmung sich aktuell aufhellt.
Die Chemie ist einer der wenigen Industriezweige in Deutschland, deren Stimmung sich aktuell aufhellt.APA/LISI NIESNER
  • Drucken
  • Kommentieren

Zwar war für Deutschland eine Rezession prognostiziert worden. Aber dass das Neugeschäft der Industrie im März so stark eingebrochen ist wie seit der Hochphase der Coronakrise nicht mehr, hatten Ökonomen nicht kommen sehen.

Wien. Statt der erwarteten 2,2 Prozent betrug das Minus 10,7 Prozent. So stark gingen die Neuaufträge für die deutsche Industrie im März zurück, wie das statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Zuletzt war die Nachfrage in der Branche vor drei Jahren so stark eingebrochen – in der Hochphase der Pandemie. „Diese Zahl macht den an sich guten Start der deutschen Industrie ins Jahr komplett zunichte und ist ein echtes Rezessionssignal“, sagte LBBW-Volkswirt Jens-Oliver Niklasch und blies damit ins gleiche Horn wie viele andere deutsche Ökonomen. „Das Ergebnis ist schlicht und ergreifend ein Desaster“, betonte etwa auch Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.

Zwar hatte sich die deutsche Industrie in den ersten beiden Monaten des Jahres noch überraschend stark präsentiert. Aber die Hoffnung etwa der deutschen Bundesregierung, dass die größte europäische Volkswirtschaft heuer doch leicht wachsen würde, dürfte sich laut Ökonom Niklasch nun gänzlich zerschlagen haben – „sofern die Statistiker in Wiesbaden nicht eine Erklärung für den massiven Einbruch nachliefern“. Vieles deute darauf hin, dass die im April vom Internationalen Währungsfonds (IWF) für Deutschland prognostizierte Rezession nun im Anmarsch sei.

„Nicht überinterpretieren“

Doch bei der Frage, weshalb die Neuaufträge so viel stärker als erwartet eingebrochen sind, tappen Ökonomen teilweise im Dunkeln. „Eine einzelne Beobachtung soll man nicht überinterpretieren“, sagt Marcus Scheiblecker vom Wifo zur „Presse“, man müsse erst abwarten, wie sich das Geschäftsklima in den folgenden Monaten entwickelt, um Schlussfolgerungen darüber zu treffen, wie tief eine nun noch wahrscheinlicher gewordene Rezession in Deutschland letztlich ausfällt.
Dass die Sachgüterproduktion in Europa – auch in Österreich – unter steigenden Zinsen und Unsicherheit leidet, ist bekannt. Doch seien die Neuaufträge in Deutschland viel heftiger eingebrochen als andernorts, so Scheiblecker, der vermutet, dass in einem in der Breite eingetrübten Geschäftsklima einzelne Sektoren die Statistik zusätzlich nach unten verzerrt haben könnten.

Denn es habe keine erneuten Energiepreissprünge gegeben, von der von Russland bekriegten Ukraine seien keine neuerlichen Schocks ausgegangen, und auch die Turbulenzen auf dem amerikanischen Bankensektor würden das Auftragsminus in dieser Höhe nicht erklären können, so der Wifo-Experte, der klarstellt: „Die deutsche Konjunktur kann nicht so stark eingebrochen sein.“

Einbruch im Fahrzeugbau

Ein Ausreißer nach unten war im März etwa der sogenannte sonstige Fahrzeugbau, unter den Luft- und Raumfahrzeuge, Schienenfahrzeuge, Schiffe und Militärfahrzeuge fallen. Nachdem das Auftragsvolumen in diesem Bereich im Februar aufgrund von Großaufträgen gegenüber Jänner um 55 Prozent angestiegen war, sank es im März um 47,4 Prozent.

Mit einem Minus von 12,2 Prozent waren auch die Aufträge in der Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen im März schwächer als andere Branchen.

Dass die Auslandsnachfrage mit einem Minus von 13,3 Prozent fast doppelt so stark einbrach wie die Inlandsnachfrage, führen Experten auch auf die steigenden Zinsen und die damit verbundene Zurückhaltung bei der Kreditvergabe von Banken zurück.

Und letztlich wirken auch Entspannungen in den weltweiten Lieferketten dämpfend auf die Nachfrage – denn hatten Unternehmen aus Sorge vor Engpässen ihre Lagerbestände angefüllt, können sie nun auf gestiegene Preise reagieren, indem sie auf diese Bestände zurückgreifen.
Für Österreichs Industrie deute aktuell nichts auf einen ähnlich starken Einbruch der Nachfrage, sagt Scheiblecker. Es gebe momentan keinen Grund, die Wifo-Prognose für die heurige Sachgüterproduktion zu revidieren, die besonders im zweiten Halbjahr ohnehin sehr schwach ausfallen soll.

Habeck will Strom verbilligen

Ebenfalls am Freitag veröffentlichte das deutsche Wirtschaftsministerium ein Konzept, das einen verbilligten Strompreis für die deutsche Industrie vorsieht. Der grüne Wirtschaftsminister, Robert Habeck, will Herzstücke der deutschen Industrie mit einem auf Jahre verbilligten Strompreis in Deutschland halten. Betriebe der Grundstoffindustrie wie Chemie oder Stahl sollten demnach nicht mehr als sechs Cent pro Kilowattstunde zahlen. Spätestens 2030 solle das Konzept auslaufen. Die Kosten für den Staat lägen nach heutigen Strompreisen bis dahin bei 25 bis 30 Milliarden Euro und sollten aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds bezahlt werden.

Damit ist neuer Zoff in der deutschen Ampelkoalition programmiert, denn Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte erklärt, er sehe dafür keinen Spielraum. Zahlungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds lehnt er ab, dieser sei für Krisenzeiten gedacht. Zudem halte er einen subventionierten Preis für ausgewählte Unternehmen für ungerecht.
Die Sozialdemokraten sind unentschlossen, während Kanzler Olaf Scholz skeptisch ist, stellt der rote Wirtschaftsflügel ähnliche Überlegungen an wie Habeck.

In dessen Wirtschaftsministerium wollte man den Nachfrageeinbruch in der Industrie am Freitag nicht überbewerten. Im Durchschnitt des ersten Vierteljahres 2023 habe es bei den Aufträgen sogar ein leichtes Plus von 0,1 Prozent zum Vorquartal gegeben. Ohne Großaufträge wäre das Minus allein im März insgesamt mit 7,7 Prozent geringer ausgefallen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.