Krönungszeremonie

Von der Krönung Charles III. und Pints im Pub

Charles III. kurz nach der Krönung. Im Vordergrund die Vorsitzende des Kronrates, Penny Mordaunt, zugleich Chefin des Unterhauses.
Charles III. kurz nach der Krönung. Im Vordergrund die Vorsitzende des Kronrates, Penny Mordaunt, zugleich Chefin des Unterhauses.APA/AFP/POOL/YUI MOK
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Die gewaltige Feier samt Militärparade in Westminsterwurde am 6. Mai 2023 von einem Millionenpublikum mitverfolgt. Auch im fernen Londoner Bezirk Greenwich waren die Leute sozusagen live dabei. Wir sahen dort von einem Wirtshaus aus zu.

Die Wolken hängen bedrohlich über der Themse, gleich wird es regnen. In Greenwich, einem Stadtteil im Südosten Londons, ist es eine Stunde vor Beginn der Krönungszeremonie von Charles III. am Vormittag des 6. Mai noch ruhig, von royaler Aufregung keine Spur. Touristen stehen orientierungslos in den Straßen und konsultieren ihre Stadtpläne, manche suchen den Weg zum Schifffahrtsmuseum.

Greenwich ist ein Bezirk mit starkem Monarchiebezug: Heinrich VIII. hatte hier seinen Hauptsitz, bis er in den 1530er-Jahren nach Westminster umzog. Auch spätere Monarchen hielten sich gern in den königlichen Behausungen dort und dem umliegenden Park auf. Die Gemeinde hat für die Festtage der Krönung etliche Events und Feiern geplant, unter anderem einen „Big Lunch“ am Sonntag, zu dem Familien eingeladen sind, um ihren neuen Herrscher zu feiern. Aber abgesehen von britischen Flaggen, die an Häuserwänden hängen, geht es an diesem Samstagmorgen eher wenig monarchistisch zu.

Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung – das demonstrieren diese Zuseher der Krönungsfeier in London
Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung – das demonstrieren diese Zuseher der Krönungsfeier in LondonAPA/AFP/MARCO BERTORELLO

Erst wenn man ins Pub hinter dem Bahnhof tritt, merkt man, dass etwa zehn Kilometer weiter westlich gleich das königliche Ereignis par excellence beginnen wird. Ein Fernseher zeigt die Live-Übertragung des Geschehens im Regierungsviertel Westminster. Dort ist bereits allerhand im Gang. Gerade kommen ehemalige Premierminister in der Westminster Abbey an, Tony Blair und John Major sind zu sehen, beide in Frack, um den Hals tragen sie eine goldene Kette.

Prinz Harry, Herzog von Sussex, war ohne seine Frau, Meghan, und die beiden Kinder angereist. Er hat sich mit seiner Familie einigermaßen zerstritten.
Prinz Harry, Herzog von Sussex, war ohne seine Frau, Meghan, und die beiden Kinder angereist. Er hat sich mit seiner Familie einigermaßen zerstritten.REUTERS



Es tröpfelt ein wenig. So what. Die BBC-Kommentatoren legen ein beeindruckendes Detailwissen über die bevorstehende Zeremonie an den Tag. Wann der Royal Standard, die Flagge des britischen Monarchen, genau benutzt werden darf; warum die Farbe Blau gewählt wurde als Verzierung der Pferde, die die Kutsche des Königs ziehen. Warum die Pferderasse Windsor Greys heißt. Ein Kommentar zum Wetter darf natürlich nicht fehlen: „Großaufgebot für die Regenschirme.“

Auch in Greenwich hat es zu tröpfeln begonnen, immer mehr Leute kommen ins Pub. Ein Mann, der mit dem Rücken zum Fernseher sitzt und mit seiner Familie ein deftiges englisches Frühstück inklusive Speck und Würste vertilgt, blickt ab und zu hinauf.

In der Kirche treffen Würdenträger mehrerer Religionen, andere wichtige Personen, fremde Staats- und Regierungschefs und vor allem solche aus dem Staatenbund des Commonwealth ein – im Prinzip die Nachfolgeorganisation des britischen Weltreichs. Aus 33 der (ohne Großbritannien) 55 Commonwealth-Länder sind laut amtlichen Angaben Vertreter angereist – vor allem aus den Commonwealth Realms, den 14 „Königreichen“, die außer Großbritannien noch in Personalunion mit der britischen Krone verbunden sind. Sie sind gut erkennbar an den Landesflaggen, die man vor ihnen herträgt: etwa jene von Kanada, Australien, Papua-Neuguinea, Tuvalu, Belize, Antigua und Barbuda, Jamaika.

„Was, die sind alle nur wegen diesem Ding hierhergekommen?“, fragt der Familienvater. „Wegen der Krönung? – Na klar doch“, antwortet seine Tochter. – „Meine Güte.“

Österreichs Präsident, Alexander Van der Bellen, samt Gattin Doris war zur Krönung geladen.
Österreichs Präsident, Alexander Van der Bellen, samt Gattin Doris war zur Krönung geladen.APA/BUNDESHEER/PETER LECHNER



Republikaner-Demo gestoppt. Die vier sind nicht die einzigen, die wenig Sinn für das heutige Zeremoniell haben. Am Vormittag versammelten sich auf dem Trafalgar Square, wo die Prozession vorbeikommen wird, mehrere Hundert Königsgegner. Der Protest wurde organisiert von der Republic-Kampagne, die sich für ein gewähltes Staatsoberhaupt einsetzt. Graham Smith, Leiter der Kampagne, hatte die größte Protestaktion angekündigt, bis zu 2000 Leute wurden erwartet. Allerdings endete seine Demo frühzeitig: Als Smith und einige Mitstreiter am frühen Morgen auf dem Weg zum Platz waren, in Händen Plakate mit der Aufschrift „Not my King“, wurden sie von der Polizei angehalten und festgenommen. Die Plakate wurden beschlagnahmt. Die Bürgerrechtskampagne Liberty gab ein Statement heraus, sie nannte den Vorfall „sehr besorgniserregend“. Protest sei ein fundamentales Recht, kein Geschenk des Staates.

Im Buckingham Palace hat dann die Prozession begonnen. Die goldene Prunkkutsche, die Elizabeth II. für ihr diamantenes Jubiläum 2012 hatte anfertigen lassen, wird von acht Pferden gezogen. Ohnehin würden etliche Utensilien, die bereits seine Mutter verwendet hat, erneut benutzt, scherzt der BBC-Kommentator. Recycling sei für den König sehr wichtig.

Kronprinz William (l.) mit seinen Kindern, Charlotte und Louis, sowie seiner Gattin, Prinzessin Catherine of Wales.
Kronprinz William (l.) mit seinen Kindern, Charlotte und Louis, sowie seiner Gattin, Prinzessin Catherine of Wales. APA/AFP/POOL/YUI MOK



Ergreifendes Kyrie auf Walisisch. In der Kutsche sitzen Charles und seine Frau, Camilla, gekleidet in weiße Gewänder. Die Kathedrale, bei der der Krönungszug vorerst endet, füllt sich langsam, gerade ist Prinz Harry eingetreten – allerdings ohne seine Frau, Meghan, sie blieb in Kalifornien. Auch das Pub wird immer voller. Vor dem Fernseher steht jetzt eine kleine Menge. Der Ton sei zu leise, man höre gar nichts, klagt eine Amerikanerin. Missmutig kommt der Kellner und dreht lauter. Man könne übrigens auch in den oberen Stock gehen, dort sei sogar eine Leinwand, sagt er. Tatsächlich: Dort sieht man die Zeremonie in voller Pracht, die zwei Dutzend Zusehener hier verfolgen das Geschehen mit deutlich mehr Interesse als die Gäste im Parterre.

Die Fanfaren schmettern. Charles III. entsteigt der Kutsche und tritt mit langsamen Schritten in die Kirche, flankiert von zwei religiösen Würdenträgern. Die lange Robe wird gehalten von vier Pagen, darunter ist sein Enkel George. „Vivat Regina Camilla! Vivat!“, tönt es im Gesang, dann: „Vivat Rex Carolus! Vivat!“ Bevor Charles den Schwur spricht, singt der walisische Bariton Sir Bryn Terfel den Kirchenklassiker „Kyrie eleison“. Terfel gibt die Verse auf Walisisch wieder – das erste Mal, dass die Sprache bei einer Krönungszeremonie gesprochen wird. Dann eine weitere Premiere, die gewisse Modernität signalisiert: Ein Gospel-Chor gibt „Hallelujah“ zum Besten.

Die Militärparade danach war die größte in London seit 1953 und bildete den Commonwealth ab, von Kanada über Afrika bis Australien. Es gab aber auch vereinzelt Proteste von Republikanern.
Die Militärparade danach war die größte in London seit 1953 und bildete den Commonwealth ab, von Kanada über Afrika bis Australien. Es gab aber auch vereinzelt Proteste von Republikanern.REUTERS

Der Erzbischof von Canterbury, das geistliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche, beginnt die Messe. Im Live-Ticker des „Guardian“ ist ein Bild des gähnenden Prinzen Louis (5) zu sehen, jüngster Sohn des Thronfolgers William (40). Im Pub herrscht jetzt andächtige Stille, man hört nur das Klappern von Geschirr in der Küche. Die Atmosphäre wird gestört, als eine junge Frau ihr Telefon abhebt und eine laute Konversation beginnt.

Der Moment mit der Krone. Als sie fertig ist, hört man, wie die BBC den nächsten Teil der Zeremonie ankündigt: die Salbung. Der Chor singt das triumphierende Lied „Zadok the Priest“ von Georg Friedrich Händel – man kennt es aus der Champions League –, derweil wird Charles mit Abschirmungen verdeckt. Nicht alle müssen sehen, wie ihm Öl aufgeträufelt wird. Dann wird ihm eine goldene Robe umgelegt, die „Supertunica“. Im Hintergrund singt ein griechischer Chor eine mystische Weise. Charles nimmt auf dem Krönungsthron Platz. Jetzt geht's zur Sache. Der Holzstuhl ist 700 Jahre alt, er gilt als ältestes britische Möbelstück, das noch für seinen ursprünglichen Zweck genutzt wird. 26 Monarchen sind darauf gekrönt worden. Eingebaut ist auch der schwere Stone of Scone, in Urzeiten und im Mittelalter Krönungsstein für piktische und schottische Könige.

APA/AFP/SUSANNAH IRELAND

Die Insignien werden dem sitzenden König präsentiert, darunter zwei Zepter, ein Armreif, ein diamantbestücktes Schwert, eine Erdkugel, ein Ring und ein Handschuh. Zum Schluss die Krone. Der Moment. Der Erzbischof muss ein wenig drücken, damit sie gut sitzt. „God save the King!“

So sitzt er da, der gekrönte Monarch, nun ist es amtlich. Selbst die Kellner und Köche im Pub sind jetzt im Saal, um ihren Chef zu begutachten.

Bald verlassen die ersten Leute das Pub, sie verpassen die Krönung von Camilla. Als die Zeremonie gegen 13 Uhr vorbei ist und in Westminster die größte Militärparade seit 1953 mit Teilnehmern aus vielen Commonwealth-Heeren startet, sitzen nur noch vier Leute vor der Leinwand. Ein paar Burschen treten ein, setzen sich in eine Ecke und beginnen Pints zu trinken. Der Alltag geht schon wieder weiter.

Krönung

Charles III. wurde am Samstag in der Westminster Abbey formell zum neuen britischen König gekrönt.

Seine Mutter, Elizabeth II., war im September 96-jährig verstorben. Charles III. als ihr Nachfolger war damals 73 Jahre alt und damit der beim Amtsantritt älteste britische Monarch bisher. Manche sehen in ihm eine Art Interimskönig; sein Thronfolger, Prinz William, ist jetzt 40.

Fahrt des neuen Königspaars durchs leicht verregnete London in der Krönungskutsche.
Fahrt des neuen Königspaars durchs leicht verregnete London in der Krönungskutsche.APA/AFP/POOL/GARETH FULLER

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2023)

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