Teuerung

Lebensmittelgipfel endet ohne Ergebnis

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Handel lehnt ein "französisches Modell" zur Dämpfung der Preise als "nicht sinnvoll" ab. Weitere Beratungen werde es noch in dieser Woche geben, kündigte Sozialminister Johannes Rauch an.

Der von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) organisierte Lebensmittelgipfel ist am Montag ohne Ergebnis zu Ende gegangen. "Ich verstehe die Sehnsucht nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen", sagte Rauch nach dem Gipfel. Es werde weitere Beratungen zu den hohen Lebensmittelpreisen geben, etwa von Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) mit Experten am Freitag und am Rande des Ministerrats. Kritik am ergebnislosen Treffen übten die Opposition und Arbeitnehmervertreter.

"Es wird Entscheidungen sehr rasch geben", kündigte Sozialminister Rauch an. Thema beim Gipfel war unter anderem neben mehr Preistransparenz das von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) ins Spiel gebrachte "französische Modell" zur Dämpfung des Lebensmittelpreisanstiegs. In Frankreich haben sich große Lebensmittelhändler und Regierung im März darauf geeinigt, dass Supermärkte auf freiwilliger Basis die Preise für eine Reihe von Produkten des täglichen Bedarfs von April bis Juni "möglichst niedrig" halten. Der Handelsverband lehnt ein derartiges Modell als "nicht sinnvoll" ab. In Frankreich sei etwa die größte Handelskette nicht dabei, sagte Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will nach dem Gipfel. "Die Möglichkeit lebt weiter", sagte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zum Thema freiwillige Vereinbarungen im Handel.

Die Gewerkschaft lehnt das "französische Modell" ab. Das Modell sei "ein Rohrkrepierer" und "eine reine Marketing-Aktion für einige Lebensmittelhändler", sagte ÖGB-Chef Wolfgang Katzian nach dem Gipfel mit dem Verweis auf französische Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen.

Im März verteuerten sich Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke in Österreich im Schnitt nach HVPI-Berechnung um 14,6 Prozent. In der Eurozone belief sich der Anstieg auf 17,9 Prozent und in Deutschland auf 22,9 Prozent.

Der Lebensmittelgipfel im Sozialministerium mit über 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern dauerte Montagvormittag rund zwei Stunden. Anwesend waren unter anderem Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger, Rewe-Österreich-Chef Marcel Haraszti, IHS-Direktor Klaus Neusser, Momentum-Institut-Leiterin Barbara Blaha und der Stellvertretende Direktor der Diakonie Österreich, Martin Schenk. Landwirtschaftsminister Totschnig bezeichnete das Treffen als "konstruktiv". Er verwies darauf, dass die Teuerung auch die landwirtschaftlichen Familienbetriebe belaste.

ÖVP lehnt Streichung der Mehrwertsteuer ab

Die schon seit längerem von SPÖ, ÖGB und FPÖ geforderte temporäre Streichung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel lehnt die ÖVP bisher kategorisch ab. Kogler und Rauch können sich eine derartige Maßnahme für Grundnahrungsmittel nur vorstellen, wenn die Händler die Steuersenkung auch an die Konsumenten weitergeben. Wirtschaftsminister Kocher hat stattdessen eine Preisdatenbank für Lebensmittel vorgeschlagen.

Handelsverband-Geschäftsführer Will und WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik sehen die Schuld für hohe Supermarktpreisen in den Kosten für Energie, Miete, Steuern und nicht in der Branche. Will forderte erneut einen Energiekostenzuschuss für Händler und warnte vor einem Greißlersterben.

Gipfel sorgt für zahlreiche Reaktionen

Vor und nach den Gesprächen löste der Gipfel zahlreiche Reaktionen aus. Kritik kam von der FPÖ, die seitens der Regierung einen Mangel an Konzepten gegen die Inflation ortete. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die aktuell um den Parteivorsitz kämpft, nahm den aus ihrer Sicht gescheiterten Lebensmittelgipfel zum Anlass, eine Nationalrats-Sondersitzung samt Misstrauensantrag gegen die Regierung anzukündigen. Die NEOS forderten eine Senkung der Steuern, Abgaben und Gebühren, damit der Bevölkerung mehr Geld übrig bleibe.

Die Industriellenvereinigung (IV) forderte gezielte Anti-Teuerungsmaßnahmen für Hilfsbedürftige, aber warnte davor, Geld mit der "Gießkanne" auszuteilen. Die wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria sprach sich für einen Ausgleich "der sozialen Lasten der Teuerung" aus, lehnt aber eine Mehrwertsteuersenkung ab.

Die Landwirtschaftskammer (LKÖ) und der ÖVP-Bauernbund verwiesen darauf, dass die Erzeugerpreise zuletzt gesunken seien und die Bäuerinnen und Bauern daher nicht von den hohen Preisen im Handel profitieren würden. Die Arbeiterkammer (AK) wiederum verlangte ein aktives Eingreifen in die Preise. Greenpeace und die Umweltschutzorganisation WWF forderten eine Streichung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Das arbeiternehmervertreternahe Momentum Institut hob hervor, dass eine Steuersenkung auf Lebensmittel vor allem einkommensschwächere Haushalte entlasten würde. Geht es nach der Armutskonferenz, sollte eine Preisdatenbank eingeführt werden.

Die Handelskette Hofer gab indes am Tag des Gipfels bekannt, die Butterpreise zu senken. Laut Handelsverband werden Spar, Rewe (u.a. Billa, Penny), Hofer und Lidl künftig für "die Dauer der Inflationskrise" eine Liste mit den Verkaufspreisen der 20 bis 30 günstigsten Preiseinstiegsprodukte wöchentlich an das Sozialministerium übermitteln.

Ebenfalls Thema beim Gipfel war die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Supermärkten und Sozialvereinen, damit mehr armutsbetroffene Menschen mit geretteten Lebensmitteln versorgt werden können.

Deutsche Preise laut Handel nur bedingt vergleichbar

Für Aufsehen hat kürzlich eine Studie von OeNB-und EZB-Ökonomen geführt, die sich Supermarktpreise in Deutschland und Österreich für die Jahre 2008 bis 2018 in einem Radius von 60 Kilometern auf beiden Seiten der Grenze angesehen hat. Im Schnitt waren die Preise auf der österreichischen Seite um 13 Prozent höher. Für den Handel sind die Lebensmittelpreise in Deutschland und Österreich nur bedingt vergleichbar. Handelsvertreter verwiesen auf unterschiedliche Mehrwertsteuersätze, andere Lohnkosten, höhere Transportkosten, mehr regionale und Bio-Lebensmittel in Österreich und eine kleinstrukturierte Landwirtschaft. Auch würden internationale Markenkonzerne in Österreich - einem Markt mit weniger Mengenvolumen - höhere Einstandspreise verlangen als in Deutschland. Landwirtschaftsvertreter verwiesen auch auf die höchste Anzahl an Supermärkten in Österreich im EU-Vergleich pro 100.000 Einwohner.

Kogler, Rauch und Totschnig verwiesen auch auf die Arbeit der Wettbewerbshüter. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) startete im Oktober 2022 eine Branchenuntersuchung im Lebensmittelsektor. Mitte März erging eine Online-Befragung an 1500 Lieferanten der vier größten österreichischen Lebensmitteleinzelhändler. Weiters schickte die BWB an Lebensmitteleinzelhändler Auskunftsverlangen zu Geschäftsdaten. Neben dem Lebensmittelhandel untersuchen die Wettbewerbshüter auch die vorgelagerte Stufe der Lebensmittelverarbeitung. Die Untersuchung des Lebensmittelsektors dauert laut BWB voraussichtlich bis Herbst 2023. Die drei größten Lebensmitteleinzelhändler, Spar, Rewe und Hofer, nahmen laut dem Marktforscher RegioData zusammen zuletzt etwa 84 Prozent des gesamten Marktes ein. Inkludiert man die Nummer vier und fünf, Lidl und M-Preis, kommt der Lebensmittelhandel auf einen Konzentrationsgrad von 95 Prozent.

(APA)

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