Gastbeitrag

Meine Motivation als Ärztin sinkt

Replik auf K. Baltaci. Die laufende Diffamierung der Wahlärztinnen und Wahlärzte als „Rosinenpicker“ ist ein Ärgernis.

Die Autorin

Univ.-Prof. Dr. Renate Heinz ist Fachärztin für Innere Medizin. Sie ist Kammerrätin und Wahlarztreferentin der Wiener Kammer.

Die laufende Diffamierung der Wahlarzttätigkeit ist ein Ärgernis. Die gründliche Recherche von Köksal Baltaci („Die Zahl der Wahlärzte steigt und steigt“, 19.4.) möchte ich aber kommentieren: Die angegebenen Ärztezahlen wären noch eindrucksvoller, wenn Alterskohorten berücksichtigt wären. Der von Ökonomen kritisierte Ärzteüberschuss im Vergleich zu anderen Staaten relativiert sich, wenn die Babyboomer aus dem Berufsleben flüchten. Noch halten wir Älteren die Stellung und wären bereit, die Versorgungslücke der nächsten Jahre zu überbrücken. Fehlende Wertschätzung von allen Seiten senkt die Motivation.

Die von der Politik favorisierten PVEs (Primäre Versorgungseinheiten), kräftig von der EU mitfinanziert, werden die gewohnte Versorgung nicht aufrechterhalten. Die umfassende Betreuung ist eine Mogelpackung. Aus wirtschaftlichen Gründen und wegen der geforderten Work-Life-Balance werden die verschiedenen Professionen nur mit Terminvereinbarung zur Verfügung stehen. Wie in Ambulatorien und Spitalsambulanzen sehen Patienten so nicht immer denselben Arzt, was für beide Seiten oft frustrierend ist.

Mein Eindruck ist, dass die Arzt-Patienten-Beziehung und die Privatheit der heutigen Politik und Gesellschaft suspekt sind. Dies entspricht aber nicht den Bedürfnissen vieler Menschen, darum floriert der Wahlarztbereich. Der Durchsatz von 100 und mehr Patienten täglich ist angesichts der Erwartung einer sprechenden Medizin nicht mehr möglich. Die Gynäkologie und die Kinderheilkunde sind Beispiele, dass die Fließbandmedizin an ihre Grenzen kommt. Der Eltern-Kind-Pass hat nun bereits im Namen den Anspruch, dass auch Väter in die Gespräche miteinbezogen werden. In der Kinderheilkunde (Impfproblematik!) können verunsicherte Eltern nicht zwischen Tür und Angel abgefertigt werden. Das erklärt den Zulauf ins Wahlarztsystem.

Anstatt die Schwachstellen im Kassensystem zu beheben, werden Wahlärzte als Rosinenpicker diffamiert und Zwangsverpflichtungen angedroht. Frustrierend ist für uns alle die überbordende und undurchschaubare Bürokratie, die vielfach als Willkür und reines Kontrollinstrument erlebt wird.

Keine Zwangsdigitalisierung

Anwenderfreundliche Technologie und Transparenz, was mit den erhobenen Daten geschieht, könnten die digital affine Generation überzeugen. Für alle, die traditionell weiterarbeiten wollen, muss ein Arbeiten ohne Zwangsdigitalisierung möglich bleiben.

Die adäquate Bezahlung von Leistungen ist überfällig. Anpassungen müssen zeitnahe erfolgen – sonst hinkt die Versorgung dem wissenschaftlichen Standard hinterher. Deckelungen sind ein Hohn: Was mache ich, wenn ein Patient in die Praxis kommt und mein Kontingent erschöpft ist? Ins Spital schicken? Auslagern von Leistungen aus dem Spitalsbereich ist nur möglich, wenn die wohnortnahe Versorgung gewährleistet ist. Palliativmedizin, Geriatrie und Hausbesuche sind angesichts der alternden Bevölkerung auszuweiten. Statt neue teure Strukturen aufzubauen, wäre es sinnvoller, die Vernetzung vorhandener Möglichkeiten zu forcieren.

Patienten brauchen Orientierung. Internetrecherche ist kein Ersatz für die freie Arztwahl. Die Betreuung durch Ärzte des Vertrauens ist weder durch Telemedizin noch durch Roboter ersetzbar. Die Kostenträger sollten ehrlich zugeben, dass nicht alle Ansprüche moderner Medizinkonsumenten durch die öffentliche Hand finanzierbar sind. Genau hier entlastet der Wahlarztbereich.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2023)

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