Glosse

Wie Olaf Scholz Oscar Wilde eine Pseudozitat unterschob

Der deutsche Kanzler fiel im Europaparlament auf ein Kuckuckszitat herein - mit dem schon der deutsche Bundespräsident Steinmeier vor zwei Jahren eine Rede schmückte.

Wenn Redner ihren prosaischen Einlassungen poetischen Glanz verleihen wollen, berufen sie sich gerne auf große Literaten. Olaf Scholz, SPD-Vorsitzender und deutscher Bundeskanzler, tat dies am Dienstag in Straßburger Plenarsaal des Europaparlaments: „Um es mit Oscar Wilde zu sagen: ,Die Zukunft gehört denjenigen, die die Möglichkeiten erkennen, bevor sie offensichtlich werden‘.“ Bei uns Korrespondenten ging ein Alarmlicht an. Hat Wilde sich wirklich so eines Marketingsprechs bedient? Eine Google-Recherche ergab keine belastbare Quelle. Eine Mail der „Presse“ an das Bundeskanzleramt in Berlin blieb unbeantwortet.

Also kurz nachgefragt bei einem, der so einer Sache auf den Grund gehen kann: Gerald Krieghofer, der Kuckuckszitate schonungsloser jagt als Dr. Van Helsing transsylvanische Blutsauger. Und in der Tat: Wilde hat das nie gesagt. Das Zitat stammt in Wahrheit vom 2006 verstorbenen Harvard-Wirtschaftsprofessor Theodore Levitt (der übrigens vor den Nazis aus Hessen floh). 1983 hatte er es im Vorwort seines Buches „Marketing Imagination“ geprägt.

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