Gastkommentar

Technologie für mich – und nicht für dich

(c) Peter Kufner
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ChatGPT und Co. Den neuen Technologie-Pessimismus verbreiten gerade jene, die an den Innovationen von gestern beteiligt waren.

DER AUTOR

Harold James (* 1956 in Bedford) studierte in Cambridge Wirtschaftsgeschichte. Seit 1986 lehrt er als Professor in Princeton Geschichte und Internationale Politik und ist Senior Fellow am kanadischen Center for International Governance Innovation. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt erschien „The War of Words: A Glossary of Globalization“ (Yale University Press, 2021).

Kapitalismus beruht auf Wettbewerb. In der Praxis jedoch wird gegen dieses zentrale Prinzip häufig verstoßen, weil ehrgeizige Kapitalisten naturgemäß danach streben, ihre Konkurrenten auszuschalten und sich eine beherrschende Marktstellung zu sichern, von der aus sie neue potenzielle Wettbewerber auf Abstand halten können. Der Erfolg hierbei kann einen reich machen und seinen Status als Visionär begründen. Aber er kann auch dazu führen, dass einem Furcht und Hass entgegenschlagen.

China führt aus eben diesem Grund derzeit Krieg gegen seine eigenen großen Technologiekonzerne. Am auffälligsten war das, als es den Mitgründer der Alibaba Group, Jack Ma, nach dessen Kritik an der chinesischen Finanzaufsicht aus dem Verkehr zog. Die zutiefst über ihren Mangel an einem eigenen Big-Tech-Sektor besorgten Europäer konzentrieren sich derweil auf die Durchsetzung von Wettbewerbsregeln (Kartellbestimmungen), um die Macht von Giganten wie Google und Apple zu begrenzen. Und in den USA haben sich die politischen Affinitäten von Big Tech (gegenüber der „woken“ Linken und auch der „Red Pill“-Rechten) zu Brennpunkten innerhalb der zerstörerischen Kulturkriege des Landes entwickelt.

Es ist nur natürlich, sich Sorgen über die Marktmacht und den politischen Einfluss derart großer Konzerne zu machen. Dies sind Unternehmen, die im Alleingang das Schicksal kleiner und gar mittelgroßer Länder bestimmen können. Ein großer Teil der Debatte über den Einfluss der Konzerne ist dabei eher akademischer Art – aber nicht in der Ukraine, wo Technologien aus dem privaten Sektor während des vergangenen Jahres eine entscheidende Rolle auf dem Schlachtfeld gespielt haben.

Dank Elon Musks Satelliten-Internetservice SpaceX Starlink waren die Ukrainer in der Lage, in Echtzeit miteinander zu kommunizieren, die russischen Truppenbewegungen nachzuverfolgen und die Präzision ihre Angriffe auf feindliche Ziele radikal zu verbessern (und so kostbare Munition zu sparen). Ohne Starlink wäre die ukrainische Verteidigung vermutlich zusammengebrochen.

Doch angesichts der Launenhaftigkeit der Möchtegern-Diktatoren aus den Konzernen sind solche technologischen Abhängigkeiten per se riskant. Im Oktober hat Musk sein Eigentum an Twitter genutzt, um ein virtuelles „Referendum“ über einen unausgegorenen Friedensplan auszurichten, der Russland die Krim überlassen würde. Als ukrainische Diplomaten protestierten, drohte er beleidigt, Starlink abzuschalten.

Paradoxerweise fällt die neue Debatte über die Macht der Konzerne in eine Zeit, in der sich der Wettbewerb zwischen den Technologieunternehmen verschärft. Radikaler technologischer Wandelführt vor allem für bestehende Unternehmen und Geschäftsmodelle naturgemäß zu radikaler Unsicherheit. Neue, anscheinend revolutionäre Durchbrüche bei der künstlichen Intelligenz könnten selbst die mächtigsten Technologie-Giganten obsolet machen, wenn sie es nicht schaffen, mit der Innovation Schritt zu halten. Bis zu diesem Jahr stand die Überlegenheit von Alphabets Suchmaschine Google außer Frage; jetzt läuft der Dienst plötzlich Gefahr, von OpenAI/Microsofts ChatGPT überholt zu werden. Facebook und Twitter wurden als unverzichtbare Social-Media-Plattformen betrachtet; inzwischen werden sie von anderen, wie TikTok, verdrängt.

Diese Entwicklungen sollten nicht überraschen. In den Annalen der Wirtschaftsgeschichte ist Versagen sehr viel häufiger als bleibender Erfolg. Erinnern wir uns an Kodak. Dessen Tage waren gezählt, als es versäumte, sich an die Ankunft der digitalen Fotografie anzupassen. Die ältesten Unternehmen der Welt sind solche mit einer Nische in örtlich begrenzten, nicht technischen Sektoren, die von vergänglichen Moden unabhängig sind. Wer nicht – wie ein japanischer Sake-Produzent oder toskanischer Winzer – eine derartige Nische besetzt, ist gefährdet.

Konkurrenz schlechtreden

Angesichts der bleibenden Bedrohung ihrer Existenz stehen großen Unternehmen im Allgemeinen zwei Strategien zur Verfügung. Die erste besteht darin, weitere Innovationen zu blockieren oder zu vereiteln, indem man behauptet, sie seien gefährlich und destabilisierend. Einige führende Vertreter der Technologiewelt warnen, dass die neusten Innovationen innerhalb der Branche ohne strenge Regeln für die KI einen zivilisatorischen Zusammenbruch herbeiführen könnten. Das war eine der Botschaften des weithin verbreiteten, von KI-Forschern und Technologie-Ikonen wie Elon Musk unterzeichneten offenen Briefes über ein KI-Moratorium (wobei später enthüllt wurde, dass Musk in ein neues Start-up investiert hat, das mit OpenAI konkurrieren wird).

Laut diesem Narrativ könnte der heutige rapide Fortschritt zu einer künstlichen allgemeinen Intelligenz führen, die so leistungsstark und so unvorhersehbar ist, dass die Menschheit ihr letztlich ohne es zu wollen auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sein könnte.

Vielleicht würde eine KI eine ihr zugewiesene Aufgabe auch schlicht so monomanisch verfolgen, dass sie – wie in Goethes Gedicht „Der Zauberlehrling“ – nicht aufzuhalten wäre. Derartige Argumente spiegeln die Stimmung der Angst wider, die für jede Ära rapider Veränderungen charakteristisch ist. Das Beispiel der Maschinen-Zerstörer des 19. Jahrhunderts – der Ludditen – hat immer eine gewisse romantische Attraktivität.

Nach staatlichem Schutz rufen

Die zweite Option besteht für die nervöse technische Elite darin, sich um staatlichen Schutz zu bemühen, indem sie die Gefahren für die nationale Sicherheit heraufbeschwört. Der stellvertretende Chairman und Präsident von Microsoft, Brad Smith, warnt etwa, dass es derart massive Investitionen erfordere, KI-Systeme zu trainieren, dass tatsächlich nur einige wenige Institutionen dazu in der Lage seien – an erster Stelle chinesische wie die Akademie für künstliche Intelligenz in Peking.

Beide Strategien umfassen die Formulierung eines Narrativs, das politische Rückendeckung gegenüber der Konkurrenz auf dem Markt sicherstellen kann. Unternehmen, die per se gefährdet sind, werden in großen Ländern immer an die Politik appellieren, dass diese sie schützen möge. Sie wollen den Status quo bewahren – sei es, indem sie die regulatorische Last für neue Marktteilnehmer erhöhen oder dass sie Barrieren gegen ausländische Konkurrenten errichten.

Wir sollten all das im Hinterkopf behalten – insbesondere, da die Pandemie und wachsende geopolitische Spannungen neue Impulse für technische Innovationen gesetzt haben. Der technologische Wandel wird wie immer zutiefst destabilisierend sein und neue Gewinner und Verlierer hervorbringen. Viele Kommentatoren (und interessierte Parteien) werden unweigerlich auf die Gefahren fixiert sein. Es ist ironisch, aber nicht neu, dass das neue Narrativ des Technologie-Pessimismus am lautstärksten von denen verbreitet wird, die an vorderster Front an den Innovationen von gestern beteiligt waren.

Aus dem Englischen von Jan Doolan
© Project Syndicate 1995–2023

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2023)

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