Interview

Was aus Putins ukrainischem Spindoktor wurde

(c) AFP via Getty Images (ALEXANDER NEMENOV)
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Eine Prophezeiung des Ukraine-Kriegs sehen viele im Roman „Der Magier im Kreml“, jetzt kommt dessen Autor Giuliano da Empoli nach Wien: Wir sprachen vorab über Putins Mastermind und die Frage, ob das Menschenbild in Silicon Valley das gleiche ist wie das von Xi Jinping.

Wladislaw Surkow heißt der Mann, der mehr als alle anderen als Mastermind des Putinismus gilt. Er war bis zu seinem Abgang 2020 Putins Spindoktor, auch ein Ingenieur der russischen Ukraine-Politik. Ihn hat Giuliano da Empoli, einst Berater höchster italienischer Politiker, als Ausgangspunkt für die Hauptfigur seines Buchs „Der Magier im Kreml“ genommen, Wadim Baranow. Als das Buch unmittelbar nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs im französischen Original erschien, wirkte es auf viele wie dessen Prophezeiung und machte Furore. Aber „Die Presse“ fragt: Tappen wir hier nicht wieder in die Falle alter Russland-Mythen?

Vor Kurzem hat Surkow, Putins Ex-Berater und Vorbild für Ihren Protagonisten, ein wehmütiges Gedicht veröffentlicht, über einen „fremden“ Frühling und tote Soldaten. Haben Sie es gelesen?

Davon höre ich zum ersten Mal. Aber so etwas klingt typisch für ihn.

Sie haben italienische Politiker beraten, auch Matteo Renzi als Premier. Und Sie haben einen Essay über Propagandatechniken von Spindoktoren veröffentlicht. Setzt „Der Magier im Kreml“ ihr Nachdenken über politische Manipulation fort?

Es ist tatsächlich auch ein romaneskes Spin-off meiner Recherchen und persönlichen Erfahrungen. Ich wollte den Gesichtspunkt eines Beraters aus dem engsten Umkreis Putins zeigen, aber eines untypischen. Surkow hat am Moskauer Kulturinstitut studiert und unter Pseudonym einen Roman und Kurzgeschichten veröffentlicht.


Viele Akteure der Politik sind weniger Ideologen als Spieler, Trickkünstler, manche auch ein bisschen Künstler. Das macht sie nicht zwangsläufig interessant. Ihr Putin-Berater Wadim Baranow aber erscheint als Faszinosum, mit seiner riesigen Bibliothek zu Hause, seinem Philosophieren . . . Hat solche Mystifizierung nicht auch ihre fragwürdigen Seiten?

Fast zwei Jahrzehnte begleitete er Putin als Berater: Wladislaw Surkow
Fast zwei Jahrzehnte begleitete er Putin als Berater: Wladislaw Surkow(c) imago/ITAR-TASS (Mikhail Metzel)

Natürlich ist das keine ungefährliche Übung, wenn es um einen Spindoktor Putins geht. Auch wenn er heute nicht mehr an der Macht ist und in meinem Roman, anders als Surkow, fast freiwillig geht. Gut, vielleicht ist mein Baranow faszinierender und auch ein bisschen freundlicher als Surkow, aber er bleibt eine gefährliche Person. Er ist ein Zyniker, hat wenige oder vielleicht fast keine Überzeugungen. Ich weiß nicht, ob das besser oder schlimmer ist, als wenn er welche hätte. Im Übrigen soll ein Roman seine Figuren ja nicht beurteilen, sondern zeigen.


Dass Baranow am Ende eine gewisse Einsicht erlangt und im Zuge des Konflikts mit der Ukraine freiwillig auf Distanz geht, hat wohl wenig mit dem realen Surkow zu tun.

Das gehört zur Freiheit des Romans. Ich wollte eine tragische Figur zeigen, die mehr an Manipulation glaubt als an Gewalt, einfach, weil sie glaubt, dass die Manipulation besser funktioniert. Letzten Endes aber muss Baranow einsehen, dass die Gewalt von Anfang an auf dem Grund von Putins Regime war und dieses zwangsläufig in Gewalt münden wird. Da kann er nicht mehr folgen.


„Der Magier im Kreml“ ist ein Roman über Macht, über russische Macht, über Russland. Warum gerade dieses Land?

Der Italo-Schweizer wurde in Frankreich geboren und lehrt heute an der Sciences Po in Paris.
Der Italo-Schweizer wurde in Frankreich geboren und lehrt heute an der Sciences Po in Paris.

Vor Jahren war ich beruflich in Moskau, und der Besuch hat einen starken Eindruck bei mir hinterlassen. Ich kenne keine andere Stadt, wo man wie hier geradezu physisch den Zugriff der Macht spürt, mit dem Kreml, der stalinistischen Architektur . . . Das hat mir auch irgendwie Angst gemacht. Damals habe ich begonnen, mich für Russland zu interessieren. Außerdem wollte ich einen Roman über Macht an sich schreiben.


Ihr Roman liest sich wie ein kluger Grundkurs in Sachen Russland für russlandferne Europäer. Gleichzeitig aber nährt er, finde ich, erst wieder westliche und russische Mythen, vom Dunklen, Rätselhaften, Schicksalhaften. Sollten wir davon nicht im Gegenteil wegkommen?

Es ist wichtig zu bedenken, dass das Bild eines Russland, das immer schon eine eiserne Hand brauchte, das seinem Schicksal nicht entkommen kann, die Sicht der Hauptfigur ist. Selbst wenn er dem Erzähler in einer langen Nacht ein Bekenntnis ablegt, ist er nicht nur ehrlich, er bleibt ein Manipulator, rechtfertigt sich. Und seine Vision von Russland bleibt nah an der Putins, auch wenn er sich vom System entfernt hat.

Aber in Ihrem Roman spielt noch eine andere Sichtweise eine große Rolle: dass der seit 2014 andauernde Konflikt in der Ukraine geradezu zwangsläufig aus der „Natur“ von Putins System erwachse. Als das Buch 2022 unmittelbar nach Kriegsbeginn erschien, nahmen es viele fast als prophetisch wahr. Wird hier nicht im Rückblick eine Zwangsläufigkeit in vergangene Ereignisse hineininterpretiert?

Ich denke schon, dass Baranows Analyse der Gewalt als Grundlage des Putin'schen Systems richtig ist. Aber ich selbst bin viel weniger deterministisch als er, gerade auch durch meine Erfahrungen in der Politik. Es gibt zwar starke Tendenzen, und in der russischen Geschichte kehrt der Autoritarismus immer wieder. Aber ist er wirklich „Russlands Schicksal“? Das glaube ich ganz und gar nicht. Menschen können Dinge in die eine oder andere Richtung umwälzen. Der Krieg in der Ukraine war nicht der einzig denkbare Ausgang von Putins Herrschaft.


1920 veröffentlichte der russische Autor Jewgeni Samjatin seine Dystopie „Wir“ über einen Staat, in dem der Mensch in Ziffern verwandelt ist, völlig gläsern und kontrollierbar. In Ihrem Roman erscheint „Wir“ auch als Vorhersage einer neuen Art von Macht, der von Google und Co. Ist das ein Warnruf an westliche Leser?

Das Buch handelt ja von Macht überhaupt. Und Samjatins Roman „Wir“ ist auch in Bezug auf unsere Gegenwart tatsächlich erstaunlich. Im Kalten Krieg gab es zwei Blöcke mit einem unterschiedlichen Menschenbild. Auf der einen Seite hatte man das Individuum, das frei seine Interessen verfolgt und damit die Gesellschaft bereichert, auf der anderen den sozialistischen „neuen Menschen“ und den Vorrang des Kollektivs. Heute redet man von einem Kalten Krieg zwischen den USA und China. Im Grunde aber ist das Menschenbild der großen Unternehmen im Silicon Valley und der kommunistischen Regierung in Peking dasselbe, auch wenn es im einen Fall vielleicht dem Profit, im anderen Fall der politischen Kontrolle dient. Alles am Menschen soll gemessen, in Daten umgewandelt und dadurch kontrollierbar werden. Die neuen Technologien ermöglichen einen neuen, grenzenlosen Typ von Autoritarismus.

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