Die Sündenböcke der Finanzkrise

(c) AP (Lee Jin-man)
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Der Prüfbericht eines Untersuchungsausschusses im Kongress verteilt die Verantwortung für die Finanzkrise 2008 auf viele Schultern. Alle bekommen ihr Fett weg: die Bush-Regierung, die Wall Street, die Notenbank.

Washington. Wer ist denn nun der große Sündenbock für die Finanzkrise 2008, die die westliche Welt an den Rand des Abgrunds geführt hat? Niemand will ihre Vorzeichen erkannt haben, alle erwischte es auf dem falschen Fuß – die Regierung unter George W. Bush, die Topmanager an der Wall Street, die Aufsichtsbehörden, die Notenbank und die zahlreichen Finanzgurus.

Zwei Jahre hat sich ein Untersuchungsausschuss im Kongress mit der Genese der Krise und ihrer Aufarbeitung beschäftigt, hat Ursachenforschung betrieben, 700 Zeugen angehört und einen 576 Seiten dicken Abschlussbericht verfasst, den sie am Donnerstag vorgestellt und aus dem die „New York Times“ vorab zitiert hat.

Die Kommission verteilt die Schuld auf mehrere Schultern. In einem Rundumschlag bekommen alle ihr Fett weg: Bush und sein Finanzminister Henry Paulson, die Notenbankchefs Alan Greenspan und Ben Bernanke.

Auch Timothy Geithner, Barack Obamas Finanzminister, kommt nicht ungeschoren davon: Er agierte im Herbst 2008 als Präsident der New Yorker Notenbank. Und selbst Ex-Präsident Bill Clinton bleibt nicht unangetastet: Unter seiner Präsidentschaft habe die Deregulierung der Finanzmärkte begonnen, heißt es in dem Bericht – dies sei ein zentraler Wendepunkt gewesen.

Greenspan unter Beschuss

Die Finanzinstitute hätten sich der Gier schuldig gemacht, die Regierung habe Konsistenz vermissen lassen. Finanzminister Paulson habe die Investmentbank Bear Sterns mithilfe der Notenbank vor dem Untergang bewahrt, nicht jedoch Lehman Brothers, was den Beinahe-Kollaps des Finanzsystems erst ausgelöst hat. Er glaubte zudem, die Hausse im Immobiliensektor im Griff gehabt zu haben. Der als Guru gepriesene Notenbankchef Alan Greenspan wiederum habe der durch „giftige“ Hypotheken verursachten Immobilienblase ahnungslos zugesehen. Den Aufsichtsbehörden habe es an politischem Willen gefehlt einzugreifen. Sie hätten dadurch ihre Aufsichtspflicht verletzt.

„Die Finanzkrise wäre vermeidbar gewesen“, lautet die Conclusio. Der Report konstatiert ein Missmanagement auf allen Seiten: Die Regierung und die Finanzaufsicht hätten eklatant versagt, die Finanzindustrie habe rücksichtslos gehandelt.

„Die größte Tragödie wäre es, wenn wir dem stets wiederkehrenden Refrain glauben würden, wonach niemand die Krise voraussehen und dagegen etwas unternehmen konnte.“ In einem solchen Fall würde sie sich wiederholen.

Ob die Schlussfolgerungen der Kommission juristische Konsequenzen nach sich ziehen werden, erscheint allerdings mehr als ungewiss. Der zehnköpfige Ausschuss kündigte jedenfalls an, seine Erkenntnisse an die Justizbehörden weiterzuleiten. Bisher ermitteln die US-Gerichte nicht direkt gegen die genannten Behörden. Nur die New Yorker Börsenaufsicht SEC verdonnerte Finanzfirmen wie Goldmann Sachs zu teils saftigen Geldstrafen.

Der von literarischen Ergüssen und Zitaten gespickte Prüfbericht ist überdies nicht unumstritten, zumal er die Handschrift der sechs demokratischen Mitglieder und insbesondere des Ausschussvorsitzenden Phil Angelides trägt.

Drei republikanische Mitglieder wollen ein eigenes Papier vorlegen, ein vierter wird ein abweichendes Urteil formulieren. Über die hochriskanten Businesspraktiken der Banken und ihre windigen Hypothekendeals heißt es etwa: „Wie Ikarus haben sie sich nicht gescheut, der Sonne näherzukommen.“

Auf einen Blick

Eine Kommission hat in den USA zwei Jahre lang die Ursachen der Wirtschaftskrise untersucht. Die Quintessenz des mit Spannung erwarteten Abschlussberichts: Das Fiasko hätte verhindert werden können. Regierung und Aufsicht haben versagt, die Privatindustrie rücksichtslos gehandelt. Ob der Bericht juristische Konsequenzen bringen wird, ist noch ungewiss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2011)

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