Gastkommentar

Israels Flirt mit den Antisemiten

(c) Peter Kufner
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Populisten wie Orbán und Trump betonen gern ihre Unterstützung für Israel, um zu zeigen, dass sie keine Antisemiten sind.

DER AUTOR

Ian Buruma (*1951 in Den Haag) studierte chinesische Literatur in Leiden und japanischen Film in Tokio. 2003 wurde er Professor für Demokratie und Menschenrechte am Bard College in New York. Zahlreiche Publikationen; zuletzt „The Churchill Complex: The Curse of Being Special, From Winston and FDR to Trump and Brexit (Penguin, 2020).

Wenn Politiker und ihre Anhänger behaupten, George Soros, der ungarisch-amerikanisch-jüdische Philanthrop, zöge die Fäden der Weltpolitik, wissen wir, dass Antisemitismus nicht weit entfernt ist. Aber dass diese Behauptungen antisemitisch sind, hat Ungarns Ministerpräsidenten Orbán, den ehemaligen US-Präsidenten Trump und ihre Anhänger nicht davon abgehalten, sie zu verbreiten.

Sowohl Orbán als auch Trump betonen häufig ihre Unterstützung für Israel, um zu zeigen, dass sie keine Antisemiten sind. „Kein Präsident hat mehr für Israel getan als ich“, hat Donald Trump noch im Oktober behauptet. Viktor Orbán seinerseits hat Israel und Ungarn als „Modelle für erfolgreiche konservative Gemeinschaften“ bezeichnet. Aber gleichzeitig hat er erklärt, die Ungarn wollten „kein Volk gemischter Rasse“ werden – eine Aussage, die weniger an Sympathie für Juden denken lässt als an den guten alten Rassismus.

Im heutigen politischen Umfeld sind Antisemitismus und Sympathien für Israel kein Widerspruch. Tatsächlich haben Israels Ministerpräsident, Benjamin Netanjahu, und seine sogar noch radikaleren Kabinettsmitglieder mit ihren rechtsnationalen Verbündeten in Europa und den Vereinigten Staaten einiges gemeinsam.

So denken Israels Rechtsextremisten ebenso wie Orbán auf ethnonationalistische Weise. Der israelische Sicherheitsminister, Itamar Ben-Gvir, beispielsweise sieht nationale Identität stark rassenbezogen – und hat sich für den Ausschluss palästinensisch-israelischer Bürger eingesetzt, die er für „unloyal“ gegenüber dem jüdischen Staat hält. Sein größtes Vorbild ist Meir Kahane, der radikale Rabbi, der die Koexistenz mit den Palästinensern als „Zusammenleben mit Krebs“ bezeichnet hat.

Wundert es da, dass sich liberale Juden in aller Welt heute von einem Israel, das so regiert wird, zunehmend entfremdet fühlen? Der demokratische US-Kongressabgeordnete Jake Auchincloss sagte kürzlich, seine jüdische Wählerschaft sei zwar in vielen Punkten uneins, stimme aber in ihrer Sorge überein, dass sich Israel zu einer „illiberalen Demokratie“ entwickeln könnte. Sogar die streng zionistische Anti-Verleumdungs-Liga hat den „jüdischen Rassismus“ der neuen israelischen Regierung angeprangert.

Natürlich gehen einige dieser Spannungen auf unterschiedliche politische Meinungen zurück. Die liberalen Ansichten vieler Juden, die in der Diaspora leben, werden von der israelischen Regierung abgelehnt. Aber diese wachsende Kluft spiegelt auch einen tieferen Wandel wider.

Immer schon in der europäischen Geschichte war der ethnische Nationalismus mit Antisemitismus verbunden – und trug in gewisser Hinsicht dazu bei, ihn zu definieren. Wilhelm der Zweite, der letzte deutsche Kaiser, der von dem leidenschaftlichen britischen Antisemiten Stewart Chamberlain beeinflusst war, verunglimpfte die USA und Großbritannien als „judifiziert“. Im Gegensatz zu diesen Ländern, die laut Wilhelm von Geld und bezahlter Einbürgerung geprägt waren, seien alle echten Deutschen mit ihrem Mutterboden verwurzelt gewesen. Hitler war natürlich derselben Ansicht.

Beispiel linker Vorurteile

Obwohl viele europäische und amerikanische Antisemiten die Juden als natürliche Bolschewiken sahen, beschränkte sich das Misstrauen gegen die jüdische Bevölkerungsgruppe nicht auf die politische Rechte. Stalin war zwar kein Anhänger der Blut-und-Boden-Ideologie, hat die Juden aber als „entwurzelte Kosmopoliten“ bezeichnet, deren Loyalität immer zweifelhaft gewesen sei.

Antisemiten neigten immer auch dazu, das jüdische Kosmopolitentum mit dem multiethnischen Charakter der amerikanischen Gesellschaft in Verbindung zu bringen. Dieses Vorurteil tauchte auch häufig in Verbindung mit antikapitalistischen Tendenzen auf, da sowohl für Juden als auch für Amerikaner das Streben nach Reichtum als typisch betrachtet wurde.

Ein kürzlich im „Guardian“ veröffentlichter politischer Cartoon ist ein perfektes Beispiel linker Vorurteile: Er zeigt Richard Sharp, den scheidenden Vorsitzenden der BBC und ehemaligen Goldman-Sachs-Banker, als Plutokraten mit dicken Lippen und großer Nase, der eine Kiste mit einem schleimigen Tintenfisch und einer Puppe des britischen Premierministers Rishi Sunak trägt. Die Botschaft: Der Jude Sharp kontrolliert Sunak aus dem Hintergrund.

Radikaler Populismus, der in erster Linie von rechtsextremer Seite kommt, den es aber auch bei der Linken gibt, ist teilweise eine Reaktion auf die Globalisierung – sowie die Macht der Banken, multinationalen Konzerne und den freien Fluss des Kapitals. Die verbreitete Angst, von diesen globalen Strömungen weggeschwemmt zu werden, hat eine Sehnsucht nach Politikern ausgelöst, die versprechen, die Macht an die „Einheimischen“ zurückzugeben und die korrupten „globalen“ Eliten zu zerstören.

Vor nicht allzu langer Zeit haben radikale Populisten diese angeblichen globalisierten Schurken allgemein mit Amerikanern und Juden gleichgesetzt. Unter dem Einfluss von Trump und seinen Anhängern wurden die USA allerdings selbst zu einem Vorbild für Reaktionäre in aller Welt – darunter auch für die momentane politische Führung Israels.

Obwohl die frühen Zionisten Israel zur jüdischen Heimat machen wollten, war das Land nie dazu gedacht, ausschließlich für Juden da zu sein. Die Juden, die dort eintrafen und es zu ihrer Heimat machten, waren keine Einheimischen, und nur die Orthodoxen unter ihnen glaubten, es sei ihnen von Gott gegeben worden. Kahane, der das mit Sicherheit glaubte, war tatsächlich in Brooklyn, New York, geboren worden. Seine Sichtweise erinnert an evangelikale Christen in den USA, die glauben, Juden seien in der Apokalypse zur Verdammnis verurteilt, wenn sie sich nicht zum Christentum bekennen.

Herzl in Jerusalem

Orbán war auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) in Dallas, Texas, einer der führenden Redner. Dort traf er seinen Fan und Mitredner Yishai Fleisher, den Sprecher der jüdischen Siedler in Hebron. Nachdem Fleisher ein Selfie mit Orbán getweetet hatte, wurde er zum möglichen Antisemitismus des ungarischen Ministerpräsidenten befragt, worauf er antwortete, das sei ihm egal. Er sei kein „Diaspora-Jude“, sagte Fleisher, sondern ein Israeli. Er sah Orbán als „Mitsouverän“ und Verbündeten im Kampf gegen die „globale Agenda, die versucht, offene Grenzen durchzusetzen und nationale Identitäten zu vernichten“. Besser kann man die wachsende Kluft zwischen Israel und der jüdischen Diaspora nicht beschreiben.

1898 traf Theodor Herzl, der Vater des modernen Zionismus, Kaiser Wilhelm in Jerusalem – in der Hoffnung, dessen Unterstützung für ein jüdisches Heimatland zu bekommen. Der Kaiser saß auf seinem Pferd, Herzl stand. Der Kaiser hatte kein Interesse. Wäre er heute noch am Leben und am selben Ort, wäre er wahrscheinlich mit der Lage zufrieden.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate, 2023. www.project-syndicate.org

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2023)

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