Der Song Contest will unpolitisch sein, steht im Zeichen des Krieges - mit der Ukraine als eigentlichen Gastgeber. Österreich kann auf einen Spitzenplatz hoffen, dank Teya und Salena. Im Duell um den Sieg Schweden gegen Finnland gibt es Raum für eine Überraschung.
Die Erfolgsbilanz Österreichs beim Eurovision Song Contest ist durchwachsen: Zuletzt erfolgreich war Cesár Sampson, der 2018 den dritten Platz eroberte. In den Folgejahren war für Paenda, Vincent Bueno und zuletzt für Pia Maria mit DJ Lumix im Halbfinale Schluss. Ihr „Halo“ wurde zwar fleißig gestreamt, und das ORF-Team dachte, man hätte einen großartigen Song am Start – doch in der Live-Umsetzung kamen die Schwächen zutage.
Heuer wollte man es besser machen. Und in Teya (Teodora Špirić, auf der Bühne in Schwarz gekleidet) und Salena (Selina-Maria Edbauer, in Weiß) hat die ORF-Showabteilung wirklich ein Dreamteam gefunden. Die Zweistimmigkeiten sitzen - die lauten wie die leisen. Und man hat ein gutes Lied nach Liverpool mitgebracht. „Who The Hell Is Edgar“ hat vieles, was man beim Song Contest braucht: einen guten Beat, einen einprägsamen Teil („Poe Poe Poe“) und eine Botschaft – dass sich Frauen im Musikbusiness immer noch härter beweisen müssen, um ernst genommen zu werden. Lediglich der Bühnenauftritt kann noch einen Energieschub vertragen.
Alles blickt auf das Duell Schweden gegen Finnland
Österreich galt im Halbfinale als Favorit. Ob Teya und Salena auch wirklich Erste waren, wird man erst sehen, wenn die Ergebnisse veröffentlicht werden. Samstagabend um 21 Uhr (ORF Eins) richten sich aber alle Augen auf das Duell Finnland gegen Schweden. Die Schwedin Loreen setzt auf ihr Erfolgsrezept von 2012: raffiniert vorgetragene Power-Ballade, viel Charisma, ein poppiges Gesamtkunstwerk. Ihr größtes Problem: „Euphoria“, mit dem sie damals siegte, war besser.
Während man Loreens „Tattoo“ wohl im Radio hören wird, ist „Cha Cha Cha“ ihres Konkurrenten Käärija aus Finnland wohl etwas zu unentschlossen, um es in die Hot Rotation der Sender zu schaffen. Es ist eines dieser Song-Contest-Phänomene, das nur bei dieser speziellen Show funktioniert: ein bisschen Exzentrik, ein wiedererkennbares Outfit (giftgrüne Ärmel), ein Beat, der zum Tanzen anregt, samt sich oft wiederholendem Teil zum Mitgrölen. Die plötzliche Charakter-Wandlung des Lieds von Rammstein zu Vengaboys bleibt allerdings ein Rätsel.
Es gibt also Spielraum für einen Außenseitersieg. Österreich könnte mit Rückenwind vom Semifinale durchaus um Spitzenplätze mitreden, eine starke Finalperformance vorausgesetzt. Im Finale reden dann allerdings auch die Jurys wieder mit, die erfahrungsgemäß Balladen und die stärker konstruierten Beiträge wertschätzen. Ein Extremfall wäre da Kroatien: „Let 3“ singen „Mama ŠČ!“ - erst in rosa Mänteln, dann in Feinripp-Unterwäsche. Mit umstrittener, weil politisch interpretierbarer Botschaft: „Kleiner Psychopath“. „Mama hat einen Traktor gekauft“ wird ebenfalls als Anspielung auf den russischen Präsidenten interpretiert, der zu seinem 70. Geburtstag von seinem belarussischen Nachbar-Diktator Alexander Lukaschenko mit einem solchen Gerät beschenkt wurde.
Samir Köcks kommentiert ausgewählte Beiträge - die es allesamt ins Finale geschafft haben.
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Generell bewegt sich der Songcontest aber in seiner üblichen Musikgenre-Spanne. Viel Pop in Pastelltönen, eine Prise Folklore mit Trommeln und Flöten, ein paar Rock-Ausreißer. Aus der Kategorie „Windmaschine“ sah man heuer wenig. Am ehesten noch beim uninspirierten Auftritt der Polin Blanka. Generell fällt auf, wie jung der Bewerb geworden ist. Die Generation Tiktok hat das Ruder übernommen. Gustaph aus Belgien ist einer der wenigen mit Lebenserfahrung auf der Bühne. Sein 90er-Jahre-Sound mit Cher-Reminiszenzen sticht zwar hervor, dürfte aber eher Material fürs Mittelfeld sein. Erfahrung bringt auch der singende Anwalt mit deutschen Wurzeln aus Australien, Daniel Estrin, mit. Seine Band Voyager trumpft mit einer Bombast-Rock-Hymne mit vielen Gitarren- und Synthesizer-Elementen auf.
Das Finale mischen natürlich noch die fünf größten Beitragszahler der EBU, der European Broadcasting Union, auf. Deutschland will unbedingt dem Fluch des letzten Platzes entkommen - ebenfalls mit Rock der härteren Sorte. Und die Ukraine schickt als Titelverteidiger Tvorchi mit „Heart Of Steel“ ins Rennen - bei den Wettquoten auch heuer im Spitzenfeld. Überhaupt steht der Bewerb - obwohl in Liverpool - im Zeichen der Ukraine, die als Vorjahressieger eigentlich der Gastgeber gewesen wäre.
Es gibt ukrainische Show-Opener und Pausenfüller, Sängerin Alyosha moderiert und gleich mehrere Teilnehmer haben sich des Kriegsthemas angenommen, immer brav allgemein gehalten, den Regeln entsprechend. Videobotschaft von Wolodymry Selenskij wird es im Finale aber keine geben. Das war der EBU dann doch zu politisch.
Die Punktevergabe
Jedes der 37 teilnehmenden Länder kann am Samstag mitvoten. Auch andere internationale Zuseher sind dieses Jahr erstmals aufgerufen, mitzustimmen. Sie werden als 38. Land zusammengefasst.
Im Finale vergibt auch eine Jury pro Land Punkte. Es gibt pro Land also 12 Punkte vom Publikum und 12 Punkte von der Jury. Die Länderschaltungen am Ende der Show verkünden die Jurypunkte. Danach werden die Publikumspunkte gesammelt vergeben. Das Land, das nach der Jurywertung am letzten Platz liegt, erfährt als erstes, wie viele Publikumspunkte man bekommen hat - zusammengezählt.
Insgesamt nehmen 37 Länder am ESC teil. In den Halbfinals am 9. und 11. Mai 2023 konkurrierten 31 Teilnehmer um 20 Plätze für das Finale am 13. Mai. Dafür sind traditionell die fünf großen Länder - und Geldgeber - Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien ebenso gesetzt wie das Siegerland des Vorjahres, die Ukraine.
Großbritannien springt als Zweitplatzierter von 2022 als Gastgeberland ein, da die Veranstaltung aus Sicherheitsgründen nicht in der vom russischen Angriffskrieg betroffenen Ukraine über die Bühne gehen kann.