Mein Samstag

Ode an die Müdigkeit

Es gibt Menschen, die sind praktisch immer müde. Ich selbst leide unter einer selbst diagnostizierten Schuljahresmüdigkeit, in Ferienzeiten bin ich ohne den Sechs-Uhr-Aufstehzwang praktisch ein anderer Mensch.

Überhaupt gibt es für den Zustand des Müdeseins viele Gründe und noch mehr kreative Ausreden: Zu kurz geschlafen. Zu lang geschlafen, das erschöpft durchaus auch. Zu viel Sport gemacht oder auch gar keinen (Faulheit führt zu noch mehr Faulheit). Und die gesellschaftlich bestens etablierte Frühjahrsmüdigkeit – gilt die jetzt um die Zeit noch? – wird von jener Trägheit abgelöst, die uns die unerträgliche Hitze im Sommer beschert. Im Herbst führt dann der abnehmende Sonnenschein dazu, dass wir uns schlapp fühlen. Im Dezember erledigt einen der Weihnachtstrubel. Und auch im Jänner, überhaupt der längste Monat der Welt, hört man Menschen selten sagen, wie herrlich ausgeschlafen sie sich fühlen. Diverse Anlässe haben ihre ganz eigene Müdigkeitsform – exemplarisch seien ein Ikea-Besuch, der Aufenthalt in einem Indoor-Spielplatz und Kindergeburtstagsfeiern genannt (ganz besonders die).

Irgendjemand ist also immer müde, und doch kommt dieser gesellschaftliche Dauerzustand in der Musik nur selten vor. Es gibt viele, viele Lieder über Liebe und Liebeskummer, Friede und Fröhlichkeit. Ja, sogar ein gewisser Edgar hat ein Lied bekommen (heute ist Song Contest!). Aber die Müdigkeit? Besingt kaum jemand. Das vielleicht beste Lied dazu stammt aus dem wunderbaren Buch „Lieselotte und der verschwundene Apfelkuchen“, das die Banana Fishbones vertont haben, und heißt sinnvollerweise „Ich bin so müde“. Das Kind und ich haben den Song früher sehr gern gesungen. Wobei kleine Kinder die einzige Bevölkerungsgruppe darstellen, die ihre eigene Müdigkeit nie-, niemals zugeben und keinesfalls freiwillig ins Bett gehen würde. Auch die Kuh Lieselotte ist in einem anderen Teil („Lieselotte bleibt wach“) nicht müde, eine wunderbare Spiegelung des Kleinkinder-Verhaltens (weshalb das Buch auch für Erwachsene höchst unterhaltsam ist). In diesem Sinne: Ruhen Sie sich aus! Oder trinken Sie einen Kaffee!

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

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