Nachruf

Sibylle Lewitscharoff gab der Literatur Feuer – mit Religion

Sibylle Lewitscharoff litt an multipler Sklerose.
Sibylle Lewitscharoff litt an multipler Sklerose.(c) dpa/Hannibal Hanschke (Hannibal Hanschke)
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Die deutsche Autorin und Büchner-Preisträgerin ist mit 69 Jahren gestorben: In der durchsäkularisierten europäischen Literatur war sie ein fantasiesprühender, disputfreudiger und sprachmächtiger Solitär.

„Ihre Visionen und Epiphanien gehören zum Schönsten und Erfrischendsten, was die gegenwärtige Literatur hergibt“, schrieb die „Presse“ 2019 über die deutsche Autorin und Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff. Da war gerade ihr Roman „Von oben“ erschienen, dessen tote Hauptfigur es noch nicht ins Jenseits geschafft hat. So geistert der „Mann“ durch Berlin, sehr einsam, sehr verzweifelt – am Ende aber winkt Erlösung. Wie auch nicht – bei einer Autorin, die trotz aller Abgründe der Einsamkeit und des Zweifelns überzeugt war, dass es noch eine andere Welt gibt, auf die man hoffen kann.

Postmoderne trifft Christentum

Sibylle Lewitscharoff, die an Multipler Sklerose litt und nun im Alter von 69 Jahren verstorben ist, war in der heutigen mittel- und westeuropäischen Literaturlandschaft ein Solitär. Sie passte in keine Schublade, mixt ihr von der bulgarischen Großmutter geprägtes konservatives Christentum mit unorthodoxen Fantasien, immer mit Interesse an den „letzten Dingen“. Wie die Postmoderne spielte sie mit diesen, anders als diese aber ein ernstes Spiel.

Die christlichen Schilderungen und Bilder dieses Jenseitigen waren für die gläubige Lewitscharoff eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. So ließ sie etwa in ihrem Roman „Das Pfingstwunder“ (2016) die angegrauten Teilnehmer eines Dante-Kongresses in Rom beim Läuten der Pfingstglocken mir nichts dir nichts in den Himmel entschweben. Sibylle Lewitscharoff schöpfte aus dem religiösen Arsenal mit wilder Fantasie, einer Freude am Humorvollen, Absurden, naturwissenschaftlich Unmöglichen, an einer üppigen und bildkräftigen Sprache.

Im Roman „Blumenberg“ etwa liegt eines Nachts einfach ein Löwe – ein christlich symbolreiches Tier – im Arbeitszimmer des Philosophen. Ihr Debüt „36 Gerechte“ beruhte auf dem Stoff einer chassidischen Legende. Auch in den folgenden, Familientragödien kreisenden Romanen wie „Consummatus“ und „Apostoloff“ spielte das Religiöse herein. In letzterem Werk verarbeitete sie unter anderem den Tod ihres Vaters, eines Exil-Bulgaren, der sich das Leben nahm, als sie elf Jahre alt war.

Sehr geprägt wurde Lewitscharoff von ihrer frommen Großmutter, wie sie der „Presse“ einmal erzählte: Diese habe ihr wunderbar aus der Bibel erzählt, „ohne mich zu ängstigen. Sie war überhaupt ein herzensguter Mensch, keine abscheuliche Frömmlerin. Der Vater liebte Homer und erzählte mir ebenfalls feurig davon. Beide Stoffe haben in mir Wurzeln geschlagen.“

Disputfreudig quer zum „Zeitgeist“

Als Heranwachsende wurde sie Trotzkistin, studierte dann Religionswissenschaft. Ihre Sprachkraft und Originalität fiel 1998 auch in Klagenfurt auf, sie erhielt den Ingeborg-Bachmann-Preis für die Erzählung „Pong“, die einen mit der Weltsicht eines verrückten Weltverbesserers konfrontiert.

Lewitscharoff war disputfreudig, stellte sich unbekümmert quer zum „Zeitgeist“. Wenn sie Orthodoxien witterte, religiös oder nicht religiös, kam ihre Freude am „Wider den Stachel löcken“ zum Vorschein. Das machte sie auch zu einer kontroversiellen Figur.

Worte wie „Lieber Gott“, „Himmel“ und „Hölle“ konnte Lewitscharoff ganz ohne Ironie verwenden. Sie glaubte auch völlig selbstverständlich an einen strafenden Gott – allein schon aus Gerechtigkeitssinn, wie sie der „Presse“ erklärte, denn: „Soll Hitler etwa froh im Himmel rumturnen?

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