Nach dem Wahltag weicht die Hoffnung auf einen Machtwechsel der Verzweiflung. Viele sind ratlos über die Gründe der Niederlage.
Istanbul. „Schock“, so drückt es ein Spaziergänger im Gezi-Park am Morgen nach der Wahl in der Türkei aus, während sein Hündchen ihm die Leine um die Beine wickelt. Tiefen Schock empfinde er, sagt Mustafa, weil er mit dieser Niederlage der Opposition nicht gerechnet habe – und Trauer, weil es nun keine Hoffnung auf eine andere Zukunft mehr gebe. Größere Zukunftspläne hätten keinen Sinn mehr, denn ohne Verbindungen zur Regierungspartei AKP könne man nach dieser Wahl in der Türkei nichts mehr werden. Daran werde auch die Stichwahl in zwei Wochen nichts mehr ändern, glaubt der 47-Jährige. Für links denkende Menschen wie ihn sieht er nach dieser Wahl nur noch zwei Optionen: Anpassung und Unterwerfung – oder Rückzug ins Private.
Wie Mustafa hatten Millionen Türken der Wahl am Sonntag entgegengefiebert, weil sie sicher waren, dass sie einen Neubeginn in ihrem Land und ihrem Leben einläuten werde. Oppositionskandidat Kemal Kiliçdaroğlu ging als Favorit in das Rennen um das Präsidentenamt, Recep Tayyip Erdoğan wirkte im Wahlkampf zeitweise ausgelaugt und ideenlos. Seine 20-jährige Herrschaft, so schien es, stand vor dem Ende.