Das Filmevent an der Côte d'Azur eröffnete heuer mit dem prunkvollen Johnny-Depp-Vehikel „Jeanne du Barry“. Nicht nur die Präsenz des umstrittenen US-Stars sorgt in Frankreich für Kritik. Cannes reagiert mit gallischer Gehässigkeit.
Thierry Frémaux, der altgediente Intendant der Internationalen Filmfestspiele von Cannes, schert sich nicht um Klatsch und Tratsch. Eine Kategorie, in die für ihn auch der Prozess rund um Hollywood-Star Johnny Depp und seine Ex-Frau, die Schauspielerin Amber Heard, fällt: Bei einer Pressekonferenz kurz vor Beginn des 76. Cannes-Festivals sagte Frémaux, die Gerichtsverhandlung – die medial allseits große Wellen schlug – hätte wohl niemanden auf der Welt so wenig interessiert wie ihn.
Was Frémaux hingegen durchaus interessiert, ist Johnny Depp selbst: Als lebende Kinolegende, die einem Event wie Cannes Glanz und Glamour verleihen kann. Im französischen Kostümdrama „Jeanne du Barry“, das das renommierte Filmfest an der Côte d'Azur am Dienstag eröffnete, spielt er den „vielgeliebten“ König Louis XV. Der in letzter Zeit eher medienscheu gewordene 59-Jährige, der auch privat viel in Frankreich ist, war bei der Premiere zugegen, gab Autogramme, wurde am roten Teppich bejubelt.
Dass Frémaux Depps filmhistorische Bedeutung mit der Auswahl von „Jeanne du Barry“ als Eröffnungsfilm würdigen wollte, kauft man ihm gern ab; dass ihm die Symbolkraft einer solchen Selektion im filmkulturellen Diskurs nicht bewusst oder wurst ist, weniger. Nolens volens ist Depp durch den breit ausgeschlachteten Gerichtskrieg mit Heard zu einem menschlichen Zankapfel im andauernden #MeToo-Kulturkampf geworden: Heard warf ihm Gewalt in der Partnerschaft vor, er bezichtigte sie der Verleumdung. Für die US-Filmindustrie ist Depp seither Persona non grata. Ihn ins Eröffnungsrampenlicht von Cannes zu stellen, sendet ein klares Signal: Wir in Frankreich ergreifen Partei für die Unschuldsvermutung – aber implizit auch gegen Verfechter von #MeToo.