Kritik Literatur

"Der Pate von Neuruppin": Breaking Bad in Brandenburg

(c) Tigran Hovhannisyan
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Schwere Jungs, leichte Mädchen, harte Drogen: Frank Willmann erzählt von einer Zeit, als der Osten Deutschlands noch wild war – und CDU wählte.

Als am 2. Mai 2005 der Prozess gegen die sogenannte „XY-Bande“ begann, feierte die deutsche Öffentlichkeit einen großen Schlag gegen die organisierte Kriminalität. In der brandenburgischen Kleinstadt Neuruppin, 80 Kilometer nordwestlich von Berlin, hatte eine Gruppe lokaler „schwerer Jungs“ seit dem Ende der DDR nach und nach ein wahres Verbrechensimperium aufgebaut, das von Prostitution bis Drogen reichte: „Am Ende versorgten wir halb Berlin mit Stoff“, sagt Franky, einer von ihnen, in Frank Willmanns überaus lesenwertem „Der Pate von Neuruppin“.

Für die vier Protagonisten Olaf, Kalle, Joschi und Franky brachte die Wende 1989 mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus nicht nur einen Ausbruch aus der schier unendlichen Tristesse des ostdeutschen Staates: „Die DDR hielten wir für ein Auslaufmodell, es musste mehr geben“, erinnert sich Joschi. Mit beiden Händen ergreifen sie die Chancen des Wild-West-Kapitalismus beim Schopf und eröffnen in der Geburtsstadt des Dichters Theodor Fontane einen Schnellimbiss. Sie haben auf Anhieb Erfolg, und nicht nur beim Würstelstand kommt der Appetit mit dem Essen.

In rascher Folge erweitern sie ihre Geschäftstätigkeit: Es folgen Spielautomaten, Fitnesscenter, Bar, Bordell und schließlich eine Diskothek für bis zu 1000 Besucher pro Nacht, immer auf der Jagd nach noch höheren Profiten. In der Wahl ihrer Mittel sind sie nicht wählerisch: „Wir haben die 1990er ein bisschen wie einen rechtsfreien Raum begriffen“, sagt Olaf Kamrath, der unbestrittene Kopf der Bande.

An die wirklich große Kohle kommen sie schließlich, als sie über die Disko in den Drogenhandel einsteigen. Das Rad, das sie drehen, wird immer größer: Wer die atemberaubenden Schilderungen liest, wie in der idyllischen Kleinstadt Neuruppin im verschlafenen Brandenburg Kokain wie am Fließband für den Verkauf an Großabnehmer in Berlin aufbereitet wird, hat unweigerlich die Kult-Serie „Breaking Bad“ vor Augen. 

Bald schon tragen die Jungs, denen vor kurzem noch der Geruch von Frittieröl anhing, elegante Designer-Anzüge und fahren schwere West-Limousinen, die sie mit Wunschkennzeichen mit der Buchstabenkombination XY schmücken: „Natürlich war es cool, als alle Autos mit XY herumfuhren. Es bedeutete schlicht, wir gehören zusammen“, sagt Olaf. Der Drogenkonsum verändert jene Mitglieder der Bande, die selbst dem Koks verfallen: „Letztlich ist die Wirkung von Kokain und Geld gar nicht so verschieden: Wer es hat, ist wach und selbstbewusst. Wer es hat, lässt die anderen nach seiner Pfeife tanzen.“

Über die Hintergründe des Reichtums der vier Freunde wird natürlich bald gemunkelt, aber sie sind "schlau im Leben" und sichern sich mit kleinen “strategischen Zuwendungen” ab: Ein örtlicher Polizist gehört ebenso zu den Empfängern von Aufmerksamkeiten wie eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung. Olaf geht schließlich so weit, für die CDU zu kandidieren („Die CDU gelobte das Blaue vom Himmel, diese Partei musste ich mir merken.“) und 2003 in den Stadtrat einzuziehen. Auch im örtlichen Fußballverein mischt er kräftig mit. Mit dem Drogengeschäft hat er da bereits abgeschlossen. Er ist 35 Jahre jung, jetzt will er ein ehrbares Leben führen, an der alltäglichen Korruption in der Stadtverwaltung teilhaben und in öffentliche Projekte investieren. 

Zum Verhängnis wird ihnen schließlich ihre Vergangenheit: Im August 2004 schlägt die Polizei im großen Stil zu. Dutzende Verdächtige werden festgenommen, Kamrath erhielt 2006 als Boss der Bande mit zwölf Jahre Haft die höchste Strafe. Im Knast studierte er Immobilienwirtschaft. Heute betreibt er ein Realitätenbüro in Neuruppin.

Der Berliner Autor Frank Willmann, der auch schon über Hooligans, Punks und Fußball-Subkulturen in der DDR geschrieben hat, sagt über sich: “Ich hab so ein bisschen ein Herz für Außenseiter.” Es gelingt ihm in seinem Buch ausgezeichnet, die Bandenmitglieder zum Sprechen zu bringen. Geschickt montiert er die Berichte zu einer packenden Reportage, die ohne Belehrungen und Moralisierung auskommt und tief blicken lässt. Aus dem Westen zurückgekehrt sagt Franky: „Ich liebe Neuruppin. Wenn ich in die Stadt komme, geht mir das Herz auf. Drüben bin ich nicht warm geworden. Die waren komplett anders. Nach Feierabend machte jeder seinen eigenen Scheiß. Wenn wir im Osten Lagerfeuer entzündeten und Gitarre und Bier auspackten, hockte sich der Wessi vor die Glotze. Oder zählte hinter verschlossenen Türen sein Geld.“ 

Literaturhinweis

    • Der Pate von Neuruppin. Vom Imbisswagen zum Drogenimperium
      Frank Willmann, Verlag Klett-Cotta
      224 Seiten, 20,60 Euro
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