Kritik Literatur

Annika Reich: „Männer sterben bei uns nicht“

(c) Paula Winkler
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Ein neuer Roman erzählt von mehreren Generationen von Frauen, die unter der Herrschaft einer Matriarchin mehr schlecht als recht zusammenleben. Edgar Allan Poe lässt grüßen.

Ein majestätisches Anwesen und die dazugehörende Matriarchin sind das Herzstück, um das sich die Frauen der Familie in Annika Reichs Roman „Männer sterben bei uns nicht“ drehen. Die titelgebenden Männer sind im Lauf der Zeit abhandengekommen. Der Park und die Villa am See bilden eine düstere Kulisse, hin und wieder werden tote Frauen ans Ufer geschwemmt, die sich aus Liebeskummer ertränkt haben. 

Luise ist zehn Jahre alt, als sie am Ufer des Sees, an dem sie wohnt, eine solche Frauenleiche findet. „Es ist Leni. Sie ist tot“, ruft sie, aber zum Glück ist es nicht Leni, ihre ältere Schwester. Die Großmutter empfiehlt ihr nonchalant, das Erlebnis gleich wieder zu vergessen. Sie ist das Oberhaupt der Familie, immer kontrolliert, immer elegant gekleidet, alle Entscheidungen, was das Anwesen (das aus einem Park, einer Villa, den dazugehörigen Nebengebäuden und besagtem Seeufer besteht) und die Geschicke der ihr Anvertrauten betrifft, werden von ihr getroffen. Lehnt sich eine dagegen auf, so wie Leni, muss sie weg – Leni ist bereits ein Jahr zuvor ins Internat geschickt worden. Luise hingegen ist der Liebling der Großmutter, sie scheint nach ihr zu kommen, gilt in der Familie als ihre „Nachfolgerin“.

Die großen Abwesenden in Annika Reichs Roman sind die Männer: Sie kommen und gehen und bleiben dann verschollen, die Autorin gibt nur Bruchstücke ihres Lebens und ihrer Begehrlichkeiten preis, die Hauptrolle spielen die Frauen mit ihren schwierigen Beziehungen und Abhängigkeiten voneinander und das riesige Anwesen, das seinen Bewohnerinnen einiges abverlangt. Nicht jede hat die Kraft dazu, mit Stil in so einem hochherrschaftlichen, aber morbiden Ambiente, noch dazu männerlos, zu leben. Die Leerstellen, die die Männer hinterlassen haben, werden mit allerlei Marotten und nicht wenig Alkohol aufgefüllt, Luises Mutter – ohnehin nur geduldet, weil angeheiratet – ist diesem verfallen, die alte Matriarchin hingegen hält sich mit Disziplin, Gefühlskälte und aufwendiger Eleganz bis zum Schluss aufrecht.

Annika Reich erzählt auf wunderbar poetische Weise von gewachsenen Machtstrukturen zwischen den Generationen, geheimen Wünschen, vergebenen Chancen und späten Erkenntnissen. Die beiden Zeitebenen – die erinnerte Zeit der Ich-Erzählerin als Kind und die gegenwärtige zum Zeitpunkt des Todes und des Begräbnisses der Großmutter, bei dem die Frauen wieder auf dem Anwesen zusammenkommen – greifen wie gut geölte Scharniere ineinander. Die angeschwemmten Toten hingegen bleiben rätselhaft, auch wenn gemunkelt wird, die Frauen hätten sich aus Liebeskummer ertränkt. Und vergessen hat Luise den Anblick von baumelnden Füßen – einer mit, einer ohne Schuh – auf der Badeleiter des Stegs natürlich nie. Edgar Allan Poe wäre begeistert.

Literaturhinweis

    • Männer sterben bei uns nicht
      Annika Reich, Verlag Hanser Berlin
      208 Seiten, 23,70 Euro
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Mit finanzieller Unterstützung von Morawa.

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