Chevrolets in Shenyang, China, bevor sie nach Usbekistan transportiert werden.
Expedition Europa

Eine Seidenstraße für die EU? – Die Beamten-Chevrolets von Samarkand

Im vergangenen November fand in Samarkand die Konferenz „The EU-Central Asia International Conference on Interconnectivity: Global Gateway“ statt. Die EU macht neuerdings Chinas „neuer Seidenstraße“ Konkurrenz und investiert in Infrastruktur.

In Samarkand – ja, im mythischen, an der alten Seidenstraße schimmernden Samarkand! – fand vergangenen November eine Konferenz statt: „The EU-Central Asia International Conference on Interconnectivity: Global Gateway“. Die EU macht neuerdings Chinas „neuer Seidenstraße“ Konkurrenz und investiert in Infrastruktur wie zum Beispiel Wasserstoff aus Westkasachstan. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und alle Außenminister der Gegend kamen nach Samarkand.
Ein schöner Vorwand, um ein Land zu besuchen, das auf beinahe so viel Bevölkerung kommt wie die vier anderen zentralasiatischen Staaten zusammen, mit einem vor seiner eigenen Liberalisierung erschreckenden Präsidenten, mit Frierenden im hier kalten Winter und mit 19 an indischem Hustensaft verstorbenen Kindern – Usbekistan. Als Erstes betörten die ausgebreiteten und in weißen Säcken ruhenden Gewürze auf dem Samarkander Basar.

Während mir Brüssel sofort ein Interview mit dem EU-Botschafter in Taschkent anbot, husteten mir unsere neuen usbekischen Partner was. Vor der Administration der dicht besiedelten Vier-Millionen-Region Samarkand war eine Flotte weißer Beamten-Chevrolets geparkt. (Ein noch augenfälligerer Ausdruck des Quasi-Monopols von Chevrolet, entstanden durch die Übernahme der mehrheitlich staatlichen Autoproduktion von Daewoo Motors, war der „Daewoo Damas“, ein oben abgerundeter, auf die Achse eines Kleinwagens aufgesetzter Minibus, in den sich neun Fahrgäste mit zwangsweise zusammengesteckten Köpfen quetschen ließen.)

Am Empfang bekam ich einen zuständigen Beamten ans Telefon. Er war zu wichtig, um meine Mails zu beantworten („Mitarbeiterin krank“), er war sogar noch wichtiger („Ich bin auch Mitarbeiter des Ministeriums!“), musste aber in Taschkent die Erlaubnis zum Beantworten meiner faden Fragen einholen („Das mache ich noch heute“). Er schickte dann eine Mail, in der nichts als „Samarkand“ stand, danach nie mehr irgendwas. Meine Arbeit war erledigt. In Samarkand wird Usbekisch, Tadschikisch und Russisch gesprochen, ich traf auch auf eine ethnische „Iranerin“ und eine „Tatarin“ mit besoffen machenden curaçaoblauen Augenlinsen, durchwandern wollte ich das „russische Viertel“.

Ein passionierter russischer Architekturblogger hatte nördlich des Universitätsboulevards ein „Jeisk oder Genitschesk ähnlich sehendes Ostrom“ ausgemacht – wohl noch nicht ahnend, dass das ukrainische Henitschesk einmal als Zentrale der russischen Okkupation im Chersoner Gebiet dienen würde.

Tatsächlich fand ich südrussisch-südukrainisches Flair, gelbe niedrige klassizistische Häuser aus der späten Zarenzeit mit neckischen Ziertürmchen. Dazu eine von Tschechen rekonstruierte Brauerei und eine Ballung hipsteroider, englisch-russisch lackierter Retro-Wagen für Kaffee und Würstel („Bayankhanov – this is cappuccino“), die Hotdogs leider überall ohne Senf. Meistbesucht war El Merosi, „das einzige Theater für historische Kostüme in Zentralasien“, das laut seiner eingebildeten Managerin häufig für Reisegruppen aus Italien oder Frankreich spielt. Das Theatercafé hatte Wegweiser, die nach Rom (6528 km), Seoul (5114), Moskau (3454) und Chittagong (3023) zeigten, die Theaterbroschüren interpretierten den Tanz „Tanovar“ als Ausdruck eines „Genusses der Seele“ und die Skythen als „indogermanische Sprachen sprechende Europäer“.

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