Ein cholerischer, selbstgerechter Vater, eine labile Mutter: Christa Nebenführs Roman „Den König spielen die anderen“ bietet einen schonungslosen Einblick ins Scheitern einer Familie.
Auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind Töchter und Söhne, und in letzter Zeit haben wieder einige von ihnen ihre literarische Stimme erhoben, um das zum Ausdruck zu bringen: Väter- und Mutterbücher boomen. Viele davon behandeln die Frage, wie viel ein Kind von seinen Eltern wissen kann, so manches arbeitet sich an der Crux ab, dass wir auch als Erwachsene noch die Kinder unserer Eltern sind; oder Kinder sind, sobald es um unsere Eltern geht. Einige dieser Bücher ziehen ihre besondere Kraft aus den äußeren Umständen der Elternleben und dem sparsamen Kommentar, denn: Was weiß man schon, was im Kopf von Vater und Mutter vorgeht? Andere hingegen nützen den altbekannten Umstand, dass dysfunktionale Familien die besseren Geschichten liefern. Kaum etwas ist für den Trend „Dichtung und Wahrheit“ besser geeignet als das gestörte Verhältnis zu den Eltern oder das Verhältnis zu gestörten Eltern.
In „Den König spielen die anderen“ von Christa Nebenführ geht es zentral um das Kind, die Ich-Erzählerin Hermi, eine Schriftstellerin, die an der distanzlosen Beziehung zu ihren Eltern leidet, am Rande geht es auch um ihren Bruder, ihren Mann, ihre beiden Kinder und um das professionelle psychosoziale Unterstützernetzwerk, Therapeutinnen und Ärzte. Den gesunden Abstand zu den bis zur Zumutung gesteigerten Ansprüchen von Vater und Mutter kann Hermi weder im wirklichen Leben noch durch ihr Schreiben herstellen. Sie sei Teil einer Familie „mit diffusen Grenzen“, bei der man zusehen könne, „wie das Kartenhaus in sich zusammenfalle, wenn ein Mitglied ein Problem“ habe, lernt sie aus der Tiefenpsychologie. Der brüllende, Geschirr zerdeppernde, gelegentlich zuschlagende Patriarch, der an den eigenen Ansprüchen und jenen der Gesellschaft an einen richtigen Mann gescheitert ist, gibt wegen der realen Referenzbeispiele die perfekte Figur für die autofiktionale Darstellung ab, ebenso wie die Mutter, die „ihre eigenen Gefühle zu manipulieren“ versucht, damit ihr Leben „in ihren Erwartungshorizont passt“. Die Genrebezeichnung „Roman“ steht zwar auf dem Cover, wird aber gleich zurückgenommen. Ein „Fragmentarium“ liege hier vor, lesen wir auf dem Innentitel, und auf der Rückseite: „Dies ist kein Roman.“ Dieses Buch entzieht sich offensiv der Schubladisierung, hält die Entscheidung zwischen Fiktion und Realität von Anfang an in der Schwebe.