Nachruf

Sein Humanismus überlebte selbst den Jugoslawienkrieg: Autor Dževad Karahasan ist tot

Selbst der Krieg konnte seinen Humanismus nicht zerstören: Dževad Karahasan.
Selbst der Krieg konnte seinen Humanismus nicht zerstören: Dževad Karahasan. juergen-bauer.com
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Aus dem belagerten Sarajewo flüchtete der Bosnier nach Graz, nun ist er dort mit 70 Jahren gestorben: Hommage an einen wunderbaren Literaten und Menschenfreund.

Einer, der fragt und keine Antworten hat“, so bezeichnete sich Dževad Karahasan gern, der Bosnier, der Wahl-Österreicher, der Europäer. Nach seiner Flucht aus dem belagerten Sarajewo hat er einst, 1993, in Österreich, genauer Graz eine zweite Heimat gefunden. Nun ist er ebendort im Alter von 70 Jahren verstorben. Dabei hat die deutschsprachige Leserschaft gerade erst einen neuen, großartigen Roman von ihm geschenkt bekommen. Einen Roman, bei dem man fast nicht anders kann, als auch an den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine zu denken. Obwohl er im belagerten Sarajewo spielt.

Seit Karahasan aus der umkämpften Stadt floh, hat der Jugoslawienkrieg nicht nur in seinem Leben, sondern auch in seinem epischen, dramatischen und essayistischen Werk eine zentrale Rolle gespielt. Im neuen Roman „Einübung ins Schweben“ macht Karahasan an vielen Schicksalen und oft gerade an Miniatur-Momenten spürbar, was der Krieg mit Menschen und aus Menschen macht.

Und anhand einer Figur, des hochgeehrten Altphilologen und Mythenforschers Peter Hurd, lässt er nebenbei auch eine abgehobene Intellektualität mit untergehen.

Hurd, der über alles Gelehrte, ist in der Stadt geblieben, weil er sich angezogen fühlt vom ganz Anderen, von der Gefahr, der Grenzerfahrung, dem Sich-Verlieren... In abendländischer philosophischer Begrifflichkeit würde man sagen: Er sucht das Dionysische. Was er dabei gewinnt, ist Verzweiflung. Was er verliert: jede moralische Orientierung und Würde. Karahasan weiß, in den Tiefen des Menschseins, die sein Held sucht, wartet nicht der wahre, authentische Mensch, sondern der Unmensch.

Kultur ist schwach - und doch rettend

Karahasan selbst hat dem Humanismus trotz all seiner persönlichen Erfahrungen nie abgeschworen und auch nicht seinem Glauben an die Kultur, im Gegenteil. Nicht zuletzt das scheint sein Credo gewesen zu sein: So schwach, so zerbrechlich die Kultur ist – nur sie rettet den Menschen vor sich selbst. Auch so kann man den Titel seines jüngsten Romans, „Einübung ins Schweben“, verstehen: als menschliche Aufgabe, sich menschlich zu erhalten in einer Welt, die dafür keinen zuverlässigen Halt bietet.

Karahasan glaubte an die Kultur als Fundament Europas – beziehungsweise an geschichtlich gewachsene, sich gegenseitig befruchtende Kulturen. Das Vertrauen darin fand er in seinen Kindheitserfahrungen – als Muslim und geprägt in der Schule von Franziskaner-Patern – und in der langen Geschichte seiner multikulturellen und multireligiösen Heimat.

Einige seiner Werke führen denn auch weit in die Vergangenheit zurück, erzählen - ohne Blindheit für die Schattenseiten – von der reichen Traditionen auf bosnischem Boden, dem Zusammenleben zwischen europäischen Muslimen und Christen. Ein Mosaik der gewachsenen, auf gesundem historischen Fundament ruhenden Kulturen fand Karahasan lebensfähiger als ein einförmiges Gebilde: „Sobald ein Monolith den ersten Riss bekommt, zerfällt er – das Mosaik überlebt auch den zehnten Schlag!“

Der Zerfall des toleranten Miteinanders in Persien

Den Zerfall des toleranten Miteinanders schildert Karahasan etwa im Roman „Der Trost des Nachthimmels“. Anhand von Persien im elften Jahrhundert erzählt er hier, wie eine blühende, geistig vielfältige und tolerante Epoche vom erstarkenden religiösen Fundamentalismus zerfressen wird.

Vielfach wurde Karahasan ausgezeichnet, unter anderem mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Trotz seines Glaubens an die Kraft von Ideen, ja, auch von Utopien, trotz seiner Freude am essayistischen Nachdenken zeigen seine Romane, Erzählungen und Dramen, dass der Fabulierer Dževad Karahasan ihm immer wichtiger blieb als der sich im Abstrakten genügende Intellektuelle. Vor allem deswegen wird sein Werk bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2023)

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Schriftsteller Dževad Karahasan verstorben

Der vielfach ausgezeichnete Literat hatte Graz zu seiner zweiten Heimatstadt erkoren. Dževad Karahasan wurde 70 Jahre alt.

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