Unterwegs

Konzerte in der Tierwelt: Und niemals nervt die Nachtigall

Wie kann es sein, dass Menschen den Klang von Nachtigallen, Fröschen oder Möwen hassen?

Am Morgen in einer toskanischen Herberge. Selig strahle ich meine Zimmerwirtin an: „Sie haben hier Nachtigallen!“ Besorgt fragt die Quartiermeisterin: „Oje, konnten Sie nicht schlafen? Bei uns singen die Vögel durchgehend, das kann lästig sein.“ Lästig? Ist sie verrückt? Berückend, entzückend, beglückend! Ein akustisches Spektakel, das wir sonst nur aus Gedichten und Groschenromanen kennen und das unsere feinfühligen Seelen in hochromantische Schwingungen versetzt. Die Gute weiß es wohl nicht zu schätzen, weil es zu ihrer Allnacht gehört.

Dass die Nachtigall schön klingt, kann freilich niemand bestreiten. Beim ähnlich nachtaktiven Frosch ist das nicht ausgemacht. Und dennoch: Wie wundervoll tönt uns ein Notturno von 100 Fröschen in einem mediterranen Tümpel! Die Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann könnten unseren Ohren keinen sublimeren Genuss bereiten als diese Klangballung in Quak-Dur. Aber hier verstehen wir eher, wenn der Landmensch, dessen ständige Heimstatt direkt neben der Entengrütze liegt, unsere Euphorie nicht teilt.

Noch deutlicher gilt dies bei Möwen: Wer von Bergen eingekesselt aufgewachsen ist, dem klingt der Ruf dieser Seevögel wie ein Fanal der Freiheit und er erfüllt ihn mit brennender Sehnsucht nach der Ferne. Aber für Küstenbewohner ist es nicht mehr als ein monotones Gekreische, kaum weniger nervig als das unsereins verhasste Krächzen der Krähen. Es verhält sich mit den Tiergeräuschen so wie mit Jausenbroten und Sexualpartnern: Wir wollen immer das, was wir nicht haben können. Wie undankbar!

karl.gaulhofer@diepresse.com

Nächste Woche: Christoph Zotter

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2023)

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