Islamstudie: Endet die Freiheit der Wissenschaft beim Islam?

Der Wissenschaftsminister distanziert sich nach Protesten der muslimischen Jugend von einer Studie zum Islamunterricht, ohne sie im Detail zu kennen.

Beinahe möchte man glauben, dass das Mutigste am österreichischen Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung womöglich seine Fönwelle sein könnte. Leider fixiert Dreiwettertaft aber nicht die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Erinnert sich noch jemand an Martin Polascheks „ZiB 2“-Interview nach seinem ersten Ministerjahr Ende Juni vorigen Jahres? Gezählte zehn Mal antwortete er damals, man werde (Variation: man müsse) sich das noch genau anschauen. Der Minister selbst scheint seinen multipel geäußerten Leersatz rückstandslos verdrängt zu haben. Wie sonst könnte er sich aufgrund von Protesten der muslimischen Jugend Österreichs (MJÖ) flugs von einer wissenschaftlichen Studie zum islamischen Religionsunterricht distanzieren, ohne sie selbst genau angeschaut zu haben? Wenn man sich immer fürchten müsse, was man sagt, könne man nicht forschen, richtet Ednan Aslan, Professor für Islamische Religionspädagogik und stellvertretender Vorstand des Instituts für Islamisch-Theologische Studien an der Uni Wien, dem Minister in einem „Kurier“-Interview aus. Schon jetzt finde man schwer junge Wissenschaftler, „weil sie Angst haben, als rassistisch oder islamophob zu gelten“.

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Eine von Aslans Dissertantinnen hat muslimische Schulkinder der neunten Schulstufe unter dem Arbeitstitel „Effekte des islamischen Religionsunterrichts in Österreich“ über ihre Einstellungen zum Islam, aber auch zu anderen Religionen, Frauen im Minirock, männlicher Gewaltanwendung oder Homosexualität interviewt. Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) bekrittelt die Fragen als manipulativ, die MJÖ als rassistisch. Und der Minister? Geht in vorauseilender Hasenfüßigkeit in die Knie, statt – so wie es der Soziologe und Migrationsexperte Kenan Güngör umgehend getan hat – die „vorschnelle, moralisierende Delegitimierung“ sowie die Rassismus- und Islamophobievorwürfe als „völlig absurd“ zurückzuweisen. Güngör kritisiert in aller Schärfe den bedenklichen „Entrüstungssofortismus“ als intelligenzreduzierenden Verstärker: „Wer kritisiert, dass ,tendenziöse‘ Fragen gestellt werden, versteht nichts von Sozialforschung. Auch wenn man zu Antisemitismus oder Rechtsextremismus forscht, werden Fragen in dieser Art gestellt.“ Klartext, den eventuell sogar Entrüstungssofortist Polaschek verstehen könnte. Als stigmatisierend kritisiert die MJÖ, dass nur muslimische Schülerinnen und Schüler an der Umfrage teilnehmen mussten. Wer sonst? Wenn Wissenschaftler die Einstellung angehender Priester erforschen, werden sie wohl nur Priesteranwärter, in Studien über Frauen exklusiv Frauen befragen. Atheisten oder Andersgläubige können jedenfalls kaum valide Auskunft geben darüber, wie der Koran in der Islamstunde ausgelegt wird, wobei Güngör die mangelnde Rückkoppelung der Antworten zum Islamunterricht bemängelt: Ein problematisches Islamverständnis könne schließlich nicht nur am Unterricht, sondern auch am Elternhaus oder an YouTube liegen.

Der islamische Reli-Unterricht wird jedenfalls auch bei der Österreichischen Islamkonferenz Thema sein; die von dem liberalen Islam-Theologen Mouhanad Khorchide initiierte parteiunabhängige Dialogplattform findet am 24. Juni erstmals statt. Eventuell spitzt der Minister bei der Konferenz aufmerksam die Ohren, ehe er sich zur Feldforschung an ein paar Brennpunktschulen begibt. Oder sich mit ehemaligen Islam-Lehrerinnen unterhält, die ihren Job quittieren (müssen), weil sie den Schleier ablegen. Oder die Bekanntschaft mit jugendlichen Tugendwächtern macht, die muslimische Mitschülerinnen drangsalieren, wenn sie kein Kopftuch tragen.

Tatsächlich muss über den (politisch missbrauchten) Islam dringendst tabulos gesprochen werden, idealerweise von aufgeklärten und weltoffenen Musliminnen und Muslimen. Geschieht dies nämlich nicht, bleibt es ein blaues Exklusivthema. Und das bedeutet weiterhin: Krawall und Hetze.

Zur Autorin

Dr. Andrea Schurian ist freie Journalistin. Die ehemalige ORF-Moderatorin („Kunst-Stücke“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerporträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturressort der Tageszeitung „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakteurin der jüdischen Zeitschrift „NU“.

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