Eine Lehrerin (Leonie Benesch) versucht herauszufinden, wer für Diebstähle an ihrer Schule verantwortlich ist - und verwickelt sich dabei in eine verfahrene Situation: İlker Çataks „Das Lehrerzimmer“ stach beim Deutschen Filmpreis „Im Westen nichts Neues“ aus.
Zum monoton dringlich gezupften Ton einer einzelnen Streicherseite verhandelt eine Telefonstimme im Off über einen Termin. Als sich das Bild öffnet, wird sichtbar, dass sie der jungen Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) gehört, die sich schnell vor dem Auflegen noch die Nummer, die sie zurückrufen will, mit Kugelschreiber auf ihrer Handfläche notiert. Dann klingelt es auch schon zum Beginn der nächsten Stunde, Carla Nowak schultert ihre Tasche und macht sich auf den Weg.
Mit wenig Abstand folgt ihr die Kamera durch Flure und Treppenhäuser, doch die nächste Station ist noch nicht das Klassenzimmer, in dem sie ihren Unterricht hält. Zunächst stößt sie mit kleiner Verspätung zu einem Termin hinzu, den zwei ihrer Kollegen mit der Klassensprecherin und dem Klassensprecher ihrer Klasse bereits begonnen haben. Ihr Anliegen ist es, aufzuklären, wer für die Diebstähle der letzten Zeit an der Schule verantwortlich ist. Ganz offensichtlich wissen die beiden Befragten keine weiterführenden Angaben zur Sache zu machen - und zeigen nur wenig Lust, Vermutungen zu äußern, wer als Täter in Frage käme. Dennoch drängt insbesondere Herr Liebenwerda (Michael Klammer), ein Lehrer mit körperbetontem Auftreten und offensichtlich migrantischem Hintergrund auf die Aufklärung des Verbrechens. Gegen den wiederholten Einspruch von Carla Nowak und der Jugendlichen zwingt er diese in einem perfiden wortlosen Verfahren, einen Mitschüler zu denunzieren.
İlker Çataks Film „Das Lehrerzimmer“ ist im schmalen 4:3-Format gedreht. Zusammen mit dem dezenten Musikeinsatz, der sich immer wieder zu einem dissonanten Schwirren weniger Streicher ausweitet, um dann zum anfänglichen Einzelton zurückzukehren, und der beständig dicht an der Protagonistin bleibenden Kamera unterstreicht das trefflich die Enge der Schulwelt. Im Verlauf der Handlung wird sie sich für Carla Nowak immer klaustrophobischer anfühlen.
Erzwungene Denunziation
Dabei könnte alles so schön sein. Als neue Lehrerin ist Nowak an einer gut ausgestatteten Schule, an der sie Mathematik und Sport unterrichtet, vom zugewandten Kollegium und den patenten Sekretärinnen freundlich aufgenommen worden. Ihre Klasse besteht aus aufmerksamen, integren Jugendlichen, die sie durch ihre beseelt-frische Art zu unterrichten fest im Griff hat – offensichtlich hängen sie sogar an ihr. Wären da nicht die Diebstähle, die immer wieder erwähnte „Null-Toleranz-Politik“ der Schulleitung. Und der Wunsch auf allen Seiten, alles richtig zu machen.
Auf die erzwungene Denunziation folgt eine nicht weniger peinliche Durchsuchung der Portemonnaies aller Schüler der Klasse, bei der ein mutmaßlicher Täter gestellt wird. Doch dann erweist sich der Verdacht als falsch, Schulleitung und Lehrerin müssen sich bei den türkischstämmigen Eltern, die zum Gespräch einbestellt worden sind, entschuldigen, und zurück bleibt ein ungutes Gefühl. So ungut, dass Carla Nowak selbst kriminaltechnisch aktiv wird, und bald schon die tatsächliche Täterin ermittelt: die Schulsekretärin Friederike Kuhn (großartig: Eva Löbau).
Deren Sohn geht ebenfalls in Nowaks Klasse. Aber zur Überraschung der gutmeinenden Lehrerin, die anbietet, die Lage im Gespräch für alle gesichtswahrend zu lösen, geht Frau Kuhn nicht auf ihr Verhandlungsangebot ein. Im Gegenteil startet sie eine Gegenoffensive. Schritt für Schritt findet sich Carla Nowak in der Folge in einer immer feindlicheren Umgebung. Jeder ihrer Schritte, die doch immer in erster Linie darauf abzielen, Schaden von ihren Schützlingen abzuwenden und deren und ihre heile Welt zu bewahren, verkehrt sich wie in einer griechischen Tragödie in sein Gegenteil. Bis die Lage am Ende wirklich aussichtlos verfahren ist.
In der Panorama-Sektion der diesjährigen Berlinale wurden „Das Lehrerzimmer“ und besonders das nuancierte Spiel Leonie Beneschs, das überzeugend zwischen Strahlen und Verzweiflung changiert, zurecht gefeiert. Allerdings weiß der Film auf die komplexen Fragen, die er stellt, kaum befriedigende Antworten zu geben. Was zuletzt so konsequent ist wie das etwas mulmige Gefühl, mit dem er das Publikum zurücklässt.