Hatte Pompeji viel, viel mehr Menschen als lange gedacht? Und war es schon vor dem Vesuvausbruch ökonomisch auf der Kippe? Gabriel Zuchtriegel, Chef des weltweit berühmten Archäologischen Parks, über Sklavenzimmer, Raubgräber und sein neues Pompeji-Buch.
Gegen ein zu „schönes“ Antikenbild hat Gabriel Zuchtriegel einst als Student aufbegehrt, indem er über Toiletten forschte. Mit nur 33 Jahren wurde er Direktor des Archäologischen Parks der italienischen Ruinenstätte Paestum - zu jung, zu unerfahren, protestierten in Italien viele, noch dazu ein Deutscher ... Er integrierte unkonventionelles Zusatzprogramm, die Besucherzahlen schnellten nach oben. Mit nur 39 schließlich war er Leiter jener antiken Ausgrabungsstätte, die alle Welt zum schaurigen Träumen bringt: Pompeji. Nach Proteststürmen gegen seine Ernennung (zwei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats traten zurück) hat sich die Lage beruhigt. „Die Presse“ spricht mit ihm über sein neues Pompeji-Buch „Vom Zauber des Untergangs“.
In den vergangenen Jahren gab es nach langem wieder große Grabungen in Pompeji, zu den Funden zählte etwa ein ganzes Sklavenzimmer. Wie haben all diese Ausgrabungen und Forschungen das Bild von Pompeji verändert?
Für mich war der größte Effekt zu sehen, wie sozial und wirtschaftlich prekär die Situation war. Das war keine Stadt, die in einem stabilen Gleichgewicht vor sich hin lebte. Das Leben, das oft in Schulbüchern durch die Fresken in den Patrizierhäusern vermittelt wird, war das einer winzigen Minderheit, das Leben der Mehrheit war schwierig und mit vielen Risiken behaftet – Kindersterblichkeit, soziale Verwerfungen, Ernährungslage . . . Unter den Graffitis, von denen die Stadt voll war, findet man neben unsäglich schweinischen auch Grüße an Leute. Manchmal steht dabei „ubique“, also „wo immer du seist“. Das erzählt von einer Gesellschaft, wo man den anderen leicht verlieren konnte. Es konnte sogar passieren, dass man auf der Straße von Sklavenräubern entführt und verkauft wurde. Wir schmunzeln gern über die Komödien von Plautus, wenn zum Beispiel ein Mädchen entführt wird und viele Jahre später wiedergefunden wird. Ödipus wird als Kind ausgesetzt. Das gehörte zum Leben. Menschen, die verschwinden, einander verlieren, Schicksale, die von einem Tag auf den anderen umgestürzt werden.

Die Bevölkerungszahl von Pompeji haben Forscher im Lauf der Zeit extrem unterschiedlich eingeschätzt, aber nie auch nur annähernd so hoch, wie eine vor wenigen Jahren gefundene Grabinschrift vermuten lässt. Bis zu 45.000 Menschen könnten es demnach gewesen sein, das ist eine völlige Umwälzung. Aber kann man dieser Grabinschrift trauen?