Klimaaktivisten

Bundesweite Razzia gegen "Letzte Generation" in Deutschland

Unterstützer der "Letzten Generation" blockieren die Stadtautobahn A100 in Berlin. (Archivbild)
Unterstützer der "Letzten Generation" blockieren die Stadtautobahn A100 in Berlin. (Archivbild)REUTERS
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Gegen Klimaaktivisten der „Letzten Generation" läuft eine bundesweite Razzia. Ihnen wird vorgeworfen, eine „kriminelle Vereinigung" gebildet bzw. unterstützt zu haben.

Mit einer groß angelegten Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft in Deutschland am Mittwoch gegen die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten ab dem frühen Morgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es zunächst nicht. Zwei der Verdächtigen stehen den Ermittlern zufolge im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.

Hintergrund der Ermittlungen und Durchsuchungen sind laut Staatsanwaltschaft zahlreiche Strafanzeigen. Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die fatalen Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Die Mitglieder kleben sich dabei häufig fest - an Straßen oder auch an Kunstwerken. Auch in Österreich blockieren die Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten regelmäßig unter anderem den Frühverkehr, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen.

„Fossile Gelder der Regierung beschlagnahmen - Wann?"

Klimaschutz-Aktivisten reagierten mit scharfer Kritik. Die Gruppe "Ende Gelände" kritisierte auf Twitter, Razzien gebe es bei denen, "die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind". Die "Letzte Generation" selbst fragte auf Twitter, wann Lobbystrukturen durchsucht und "fossile Gelder der Regierung" beschlagnahmt würden. Aktivisten von "Extinction Rebellion" solidarisierten sich ebenfalls mit den Beschuldigten. "Lobbys und Konzernen legen wir das Handwerk nur gemeinsam", schrieben die Umweltaktivisten am Mittwoch auf Twitter und bekundeten ihre Unterstützung.

Zentraler Vorwurf im Zusammenhang mit den Durchsuchungen ist laut Polizei und Generalstaatsanwaltschaft, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die "Letzte Generation" organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben sollen. Dieses Geld sei nach bisherigen Erkenntnissen "überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten" eingesetzt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel davon beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei zunächst nicht. Ziel der Durchsuchungen sei auch "das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur" gewesen, hieß es.

Durchsuchungen in sieben Bundesländern

Durchsuchungen gab es in sieben Bundesländern, konkret in Hessen im Landkreis Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Die Einsätze verliefen ersten Informationen nach friedlich. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde auch die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet.

In den vergangenen Wochen war das Umfeld für die Aktivisten extrem rau geworden. Genervte Autofahrer schlugen und traten die Protestierenden öfters und schleiften sie ruppig von der Straße, und das Landgericht Potsdam bestätigte erstmals den Anfangsverdacht, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Diese Woche äußerte sich auch Deutschlands Kanzler Olaf Scholz extrem kritisch und nannte die Anklebe-Aktionen der Gruppe "völlig bekloppt".

Die Aktivisten in Deutschland forderten anfangs ein "Essen-Retten-Gesetz" gegen Lebensmittelverschwendung. Die derzeitigen Forderungen sind Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr.

„Kriminelle Vereinigung, keine terroristische"

Angesiedelt sind die Ermittlungen bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München betonte aber, dass das nicht bedeute, dass man die "Letzte Generation" als extremistisch oder terroristisch einstufe. "Wir gehen nach jetzigem Ermittlungsstand davon aus, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt - wohlgemerkt nicht um eine terroristische", sagte der Sprecher. Dies wolle man gerichtlich prüfen lassen.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßte die Durchsuchungen. "Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt in Berlin.

Der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Lorenz Gösta Beutin, nannte die Razzien völlig überzogen. Die Menschen, die sich der sogenannten "Letzten Generation" zurechneten, setzten auf friedlichen zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakatastrophe und das Versagen der Bundesregierung aufmerksam zu machen. Deutschlands Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schrieb auf Twitter: "Klimaschutz ist ein richtiges und drängendes Anliegen. Klimaschutz gegen Rechtsstaat, Demokratie und die Bevölkerung dagegen nicht."

Einsatz in Aktivisten-Camp gegen Straßenbauprojekt

Auch nahe dem niedersächsischen Bramsche rückte die Polizei am Mittwoch zu einem Einsatz in einem Camp von Aktivisten aus, die gegen eine geplante Rodung eines Walds für eine Autobahn protestieren. Polizei und Staatsanwaltschaft in Osnabrück teilten mit, die Durchsuchung stehe im Zusammenhang mit Ermittlungen zu "diversen Straftaten", für die mutmaßlich Bewohner des Camps verantwortlich seien. Unter anderem gehe es um die Beschädigung von Hochsitzen für die Jagd.

Darüber hinaus ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben wegen Brandstiftung an einem Bagger und illegaler Fällung von Bäumen, die anschließend im Camp verbaut worden sein sollen. Ziel der Durchsuchungen sei es, "Beweismittel und Diebesgut" zu finden sowie mögliche Beschuldigte zu identifizieren. Die Räumung des Camps sei "explizit" nicht geplant, hieß es.

Die Aktivistinnen und Aktivisten halten das Waldstück zwischen Bramsche und Wallenhorst nach eigenen Angaben bereits seit fast einem Jahr besetzt. Sie errichteten ein Camp mit Baumhäusern, um gegen den Weiterbau der Autobahn 33 zu protestieren. Diese soll in dem Bereich nördlich von Osnabrück mit der Autobahn 1 verbunden werden. Laut Aktivisten soll dafür Wald gerodet werden.

(Reuters)

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