Tina Turner Konzert in der Deutschlandhalle Berlin
Nachruf

Galionsfigur der Selbstbefreiung: Tina Turner ist tot

Aus dem Provinzkaff Nutbush in die große Welt, aus der Unterdrückung durch ihren Mann Ike zur Solokarriere: Tina Turner sind zwei Ausbrüche gelungen. So wurde sie, was sie werden wollte: die erste schwarze Rock'n'Roll-Sängerin, die Stadien auf der ganzen Welt füllte. Nun ist sie 83-jährig in der Schweiz gestorben.

Die Queen of Rock 'n' Roll: So wurde Tina Turner in vielen ersten Reaktionen auf ihren Tod genannt. Man fragte sich unwillkürlich: Wie altmodisch klingt das denn? Wollte sie das wirklich sein? Hätte sie sich nicht lieber etwa als Königin des Soul bezeichnet?

Nein. Sie wollte, wenn schon, dann den Rock 'n' Roll, die Rockmusik – die damals wie heute längst nicht mehr mit Pop ident war – regieren. Wie ihr erster Mann und langjähriger Tyrann, Ike Turner, hatte sie keine Lust darauf, sich unter Signets wie Rhythm 'n' Blues oder Soul dem afroamerikanischen Sektor zuweisen zu lassen. Die Rassentrennung hatte sie genug erlebt in dem Ein-Pferd-Ort Nutbush, wo sie im Untergeschoß des Spitals auf die Welt kam, weil die oberen Ebenen für die Weißen reserviert waren. Sie ließ sich nicht mehr segregieren. Sie wollte das globale Publikum, auch das weiße, und sie bekam es.

Das war die erste gelungene Selbstermächtigung dieser großen Frau, dieses Lebens, das so legendär anmutet, dass es längst zum Musical wurde. Sie ließ die Provinz hinter sich, die ihr zugewiesenen Musiktheater in den Chitlin Circuits, so genannt, weil die Afroamerikaner angeblich so gern Kutteln aßen. Als sie Nutbush hinter sich hatte, konnte sie es besingen, in „Nutbush City Limits“, einem der wenigen Songs, die sie selbst schrieb, zugleich einem ihrer besten. „Church house, gin house, school house, outhouse“ gellt sie darin: Nie wieder ist provinzielle Tristesse so exzessiv und mitreißend besungen worden.

Mick Jagger war begeistert

Es war Ike Turner, ihr späterer Ehemann und Tyrann, der sie 1958 dort herausholte und ihr den Vornamen Tina gab: zunächst als Backgroundsängerin seiner Band Kings of Rhythm, die bald in Ike & Tina Turner umbenannt wurde. Diese Frau war nichts für die zweite Reihe. Ihre Stimme und ihre Bühnenpräsenz drohten beinahe den trockenen Rock'n'Roll Ike Turners zu sprengen. Sie tanzte nicht, das überließ sie den dafür engagierten Ikettes, sie tobte, stampfte, schleuderte ihr Haar, hantierte auf eindeutig zweideutige Weise mit dem Mikrofon.

Mick Jagger sah das, war überwältigt und verpflichtete Ike & Tina Turner 1966 als Vorgruppe der Rolling Stones, wohl wissend, dass diese Tina ihm die Show stehlen könnte. Oder er ihr. Wie die beiden damit kokettierten, konnte man noch fast 20 Jahre später bei ihrem Duoauftritt bei „Live Aid“ sehen.

Doch wieder zurück ins Jahr 1966. Damals gelang Tina Turner ein sängerisches Meisterwerk, das bis heute auf seine Weise unerreicht ist: „River Deep – Mountain High“, produziert von Phil Spector, dessen Praxis sich mit dem Motto „Genug ist nicht genug“ beschreiben lässt. Noch ärger als sonst türmte er alles auf, was er hatte, bis Tina Turner diese instrumentale Wand fast nicht mehr überschreien konnte. Sie schaffte es doch noch. Gigantisch. Apokalyptisch. Und obwohl der Track unter Ike & Tina Turner verkauft wurde, war Ike nicht beteiligt: Spector hatte ihm Studioverbot erteilt.

„Acid Queen“ im Film „Tommy"

Das Ehepaar/Duo blieb dennoch noch fast zehn Jahre zusammen, es entstanden dabei Klassiker wie „Nutbush City Limits“ oder „Proud Mary“, eine Nummer von Creedence Clearwater Revival, der Tina Turner tiefen, erdigen Soul verlieh. Ihre Paraderolle als überwältigende, den jugendlichen Patienten mit Sex und Drogen behandelnden „Acid Queen“ in Ken Russells Verfilmung von „Tommy“ spielte und sang sie wieder außerhalb der Einflusssphäre ihres Ehemanns. Der sich immer mehr als Unterdrücker zeigte, sie einzusperren versuchte, sie demütigte und schlug.

1976 entkam sie seinem Terrorregime: Sie flüchtete kurz vor einem Auftritt in ein Hotel, mit nichts mehr als den Kleidern, die sie am Leib trug, und ein wenig Geld. Das war ihr zweiter Ausbruch, und es war kein leichter. Ihr Soloauftritte waren zunächst wenig gefragt, zeitweilig musste sie sogar als Putzfrau arbeiten. Es war die Zeit des Punk, und sie galt, heute unverständlich, als Has-been, als Star von gestern. 1983 gelang ihr mit einer Version von Al Greens „Let's Stay Together“ wenigstens ein kleiner Hit.

Bandenchefin im Film „Mad Max"

Doch dann kam gleich das Album „Private Dancer“: eine bewusste Abkehr vom Rhythm'n'Blues, dem sie bei aller Extravaganz bislang doch treu geblieben war. Mit Hilfe etlicher Kollegen und Freunde wie Mark Knopfler, der den Titeltrack schrieb, entstand eine Art von Universal-Pop, der die Stilmittel des Hard Rock, aber auch der damals heftig in die Breite gehenden New Wave aufnahm, mit viel Keyboards, mit breitbeiniger Gitarre und überhaupt sehr opulent. Man konnte das mögen oder nicht, der sängerischen Urgewalt Tina Turners konnte man sich nicht entziehen, ob sie nun „What's Love Got To Do With It“, „We Don't Need Another Hero“ oder „The Best“ röhrte. Als sexy Bandenchefin Aunty Entity in „Mad Max“ festigte sie ihr Image auch filmisch. Eine Powerfrau, sagte man damals, wohl wissend, wie schwer sie es gehabt hatte, sich zu befreien. Wie subtil sie trotz aller Power sein konnte, zeigte sie etwa im Duett „Tonight“ mit David Bowie oder in ihrem James-Bond-Song „Golden Eye“ (1995).

In den Neunziger- und Nullerjahren füllte Tina Turner verlässlich alle Stadien, 2009 beendete sie ihre Bühnenkarriere – und brachte gemeinsam mit einer Yogalehrerin ein Album mit spirituellen Gesängen heraus. Ihre geistliche Heimat hatte sie im Buddhismus gefunden, ihre weltliche in der Schweiz, wo sie ab 1994 mit ihrem Lebensgefährten, dem deutschen Ex-Musikmanager Erwin Bach, lebte.

Ihre späten Jahre waren von Schicksalsschlägen gezeichnet, sie verlor ihre beiden Söhne, erlitt einen Schlaganfall und erkrankte an Darmkrebs. Doch in Interviews klang sie gelassen, glücklich und zufrieden mit sich und ihrer Karriere. Ihr Ziel sei es gewesen, die erste schwarze Rock'n'Roll-Sängerin zu sein, die Stadien auf der ganzen Welt füllt, sagte sie einmal. Das war sie – und dazu für viele Frauen aller Farben ein Beispiel dafür, wie man sich aus Abhängigkeit von einem Mann befreien kann. Am Mittwoch ist Tina Turner nach langer Krankheit in ihrem Haus in Küsnacht gestorben. Nennen wir sie Queen of Rock'n'Roll, sie hörte das gern, und sie hat es sich verdient.

Tina Turner bei ihrem Konzert in München am 20.04.1985
Tina Turner bei ihrem Konzert in München am 20.04.1985(c) imago

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