Gastkommentar - Euro

Zur Inflationsdebatte, ein Jahr danach

Peter Kufner
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Dieser Text über die europäische Finanzpolitik im Angesicht des Kriegs erschien bereits vor exakt einem Jahr an anderer Stelle. Wir drucken ihn noch einmal aber, weil er immer noch erschreckend gültig ist.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel „Systemversagen 2.0: Good bye, Eurozone!“ ziemlich genau vor einem Jahr auf der digitalen (mittlerweile leider stillgelegten) Plattform „Ökonomenstimme“ der ETH Zürich. Er wird hier nochmals veröffentlicht, nicht um dem (zweifelhaften) Bedürfnis eines Autors nach Rechthaberei Vorschub zu leisten, sondern einzig und allein zum Zweck der allgemeinen Belustigung (soll heißen: Belehrung).

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Zentrales Ziel der Europäischen Wirtschaftspolitik sollte gegenwärtig vorrangig und ausschließlich die Bekämpfung einer durch destabilisierende Rohstoff- bzw. Energiepreisspekulation und unverantwortliche Kriegstreiberei ausgelöste drohende Hyper-Inflation sein, und nicht die Mangelverwaltung der dadurch verursachten, bereits manifesten negativen Inflationsfolgen.

Letzteres versuchen gerade diverse Staatskanzleien in den EU-Ländern, wohlgelitten von einer gemeinsamen Zentralbank im Dauerdämmerschlaf. Die österreichische Regierung ist voll mit dabei und wird – trotz Rückversicherung durch heimische Wirtschaftsforscher – kläglich scheitern.

Die Pandemie und der Krieg zwischen Russland und der Ukraine haben ein Schreckgespenst reanimiert, das viele bereits für mausetot gehalten haben. Vor allem die „monetäre Makroökonomie“ und Notenbanker ließen sich – seit den frühen 1990er Jahren – allenthalben (zumindest in den OECD-Landen) für die vermeintliche Ausrottung dieser Geisel feiern. Welch verhängnisvoller Irrtum!

Eine globale Virusseuche und ein zeitlich strategisch geschickt dazu getakteter und über Jahre vorbereiteter Aggressionskrieg mitten in Europa haben uns rasch vor Augen geführt, wie schnell Scheintote zum Leben erweckt werden können. Extremer weltwirtschaftlicher Nachfrageüberhang (nicht nur pandemiebedingt), unterbrochene beziehungsweise latent fragile internationale Handels- und Lieferbeziehungen (nicht nur pandemiebedingt), hoch ineffiziente, unregulierte Rohstoffmärkte, gehypt durch Spekulation und Kriegsängste und – nicht zuletzt – getoppt durch Regierungen in Schockstarre und Notenbanken in Dauerparalyse: Zusammen ergibt das eine brandgefährliche Gemengelage, die sich sehr rasch und unvermittelt in einem veritablen Inflationsinferno entladen kann (und auch wird, wenn nicht sofort und richtig gehandelt wird).

Zum Autor:

Franz R. Hahn (*1952), habilitiert in Wirtschaftswissenschaft an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Bis 2017 Bank- und Finanzexperte im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in Wien. [ Beigestellt]

Inflation ist ausschließlich ein monetäres Phänomen. So lautet das Mantra der modernen Geldpolitik. Hohe Inflation ist demnach das Erzeugnis einer fehlgeleiteten expansiven Geldpolitik, niedrige Inflation das Ergebnis einer stabilitätsorientierten, verantwortungsvollen Geldpolitik. Beides impliziert, dass die gesamtwirtschaftliche Preisniveauentwicklung allein mit geldpolitischen Mitteln effektiv unter Kontrolle gehalten, d. h. gesteuert werden kann. Im Zentralbanker-Sprech heißt das ,inflation targeting‘. Dieser Befund ist (auch hier und jetzt) uneingeschränkt gültig.

In der Energieversorgungsfalle

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nach der Finanzkrise 2008 die Geldmärkte mit Dauerliquidität überschwemmt und sträflich nachlässig verabsäumt, rechtzeitig den sich darunter bildenden Liquiditätssumpf trockenzulegen (Systemversagen 1.0). Dieser bot zunächst – unbehelligt von der EZB – üppige Nahrung für Fehlentwicklungen auf diversen Vermögensmärkten (z. B. Immobilienmärkten) und befeuert jetzt – noch immer unbehelligt trotz erkennbarer starker Inflationsauswirkung – Spekulationsgeilheit auf den Rohstoff- und Energiemärkten. Noch schlimmer, die EZB macht sich mit ihrer „Politik der eingeschlafenen Hand“ mitschuldig, einem Aggressor den Zugang zu „easy money“ für die Finanzierung seines Vernichtungskriegs franko Haus ermöglicht zu haben: und zwar durch schamloses Abzapfen der durch die inferiore EZB-Politik prall gefüllten (Staats-)Kassen vor allem jener naiven Eurostaaten (Österreich mittendrin), die sich über Jahre wie benebelt in eine Energieversorgungsfallehaben locken lassen und sich damit in einem unerträglichen Zustand der Selbstfesselung verfangen haben.

Die sich im Dunst dieser Entwicklung abzeichnende Hyper-Inflation (zweistellige Inflationsraten) in Europa und deren verhängnisvolle gesamtwirtschaftliche Auswirkungen sind mittlerweile nicht nur ansatzweise und schemenhaft, sondern klar und deutlich erkennbar. Und sie sind ausschließlich das Erzeugnis der EZB und ihrer fehlgeleiteten, vor allem nicht rechtzeitig nachjustierten Krisenpolitik in den Folgejahren nach dem globalen Banken- und Finanzkrach 2008/2009.

Die Versuche vieler europäischen Regierungen, die bereits manifesten und zukünftigen Inflationsfolgen einer verfehlten Politik ihrer Notenbank durch öffentliche Ausgleichszahlungen an besonders inflationsvulnerable Bevölkerungsgruppen (so treffsicher sie auch sein mögen) abzufedern, müssen und werden sich daher, wie in der Vergangenheit so oft, als wirkungslose Alibimaßnahmen erweisen.

Es ist Zeit, die EZB wachzurütteln

Es ist somit allerhöchste Zeit, die Europäische Zentralbank wachzurütteln und mit Nachdruck an ihren Stabilitätsauftrag zu erinnern. Sie muss unverzüglich im Rahmen ihrer „Forward Guidance“-Strategie ihre Entschlossenheit glaubhaft bekunden, die gegenwärtig hohe Inflationsdynamik nicht nur zu brechen, sondern eine Trendwende mit allen ihr verfügbaren Mitteln in Richtung Inflationsziel von zwei Prozent zeitnah zu erzwingen. Gelingt das nicht, bevor sich die stark steigenden Inflationsraten in steigende Inflationserwartungen verfestigen, dann droht eine desaströse Preis-Lohn-Dynamik, die nur mehr mit geld- und fiskalpolitischer Brachialgewalt unter hohen sozialen Kosten unterbunden werden kann (Systemversagen 2.0: Good-bye, Währungsunion!).

Die einzig richtige Antwort

Es mag geradezu obszön anmuten, eine sich bereits abzeichnende Rezession durch die Ankündigung restriktiver geldpolitischer Maßnahmen noch zu verschärfen. Es verbleibt jedoch kein anderer Weg mehr, den Irrsinn auf den Energiemärkten rasch zu beenden und der herrschenden Inflationshysterie die Nahrung zu entziehen. EU-Kommission und die Regierungen der EU-Länder müssen die EZB bei diesem Kraftakt durch eine konsequente Weiterführung der Krisenpolitik, die sich während der Coronapandemie leidlich gut bewährt hat, unterstützen und durch geschicktes sozial- und fiskalpolitisches Management der (sicherlich sehr deutlich spürbaren) Rezessionskosten für ein Mindestmaß an öffentlicher Akzeptanz der ohnehin alternativlosen geldpolitischen Vollbremsung sorgen.

Nicht zuletzt wäre dies auch die einzig richtige europäische Antwort auf die Aggression eines sich überschlau gerierenden Kriegstreibers, der felsenfest davon überzeugt ist, sich auch weiterhin hinreichend viele EU-Länder als „nützliche Finanz-Idioten“ gefügig halten zu können.

Wird sich die EZB zu diesem harten Strategiewechsel durchringen? Kaum. Sie hat uns kürzlich wissen lassen, dass die Inflationsraten in der Eurozone bereits 2024 wiederum nahe bei ihrem Inflationsziel von zwei Prozent liegen werden, und das ganz ohne ihr Zutun. Welch folgenschwerer Irrtum!

E-Mails: debatte@diepresse.com

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