Gastkommentar

Politische Bildung? Nein, danke!

Die Politik bringt die Pädagogik mit immer neuen Forderungen unter Druck. Sie sollte aber lieber bei sich selbst beginnen.

Vor Kurzem war ich gemeinsam mit einigen Kollegen zu einer Gesprächsrunde eingeladen, um mit engagierten Politikern über Entwicklungen im Schulsystem nachzudenken. Am Beginn standen erwartungsgemäß die bestens bekannten Beteuerungen zur Bedeutung von Ausbildung und Bildung. Aber im Verlauf der weiteren Diskussion kamen kaum überraschende Themen von A wie Autonomie bis Z wie Zentralmatura auf den Tisch. So ging es einerseits um die wohl weiterhin wachsenden Aufgaben der Schule sowie in Verbindung damit um die Inhalte zeitgemäßer Lehrpläne, andererseits um eher strukturelle Fragen wie die Gesamt- und Ganztagsschule, fehlende Entscheidungsspielräume und knappe Ressourcen – allen voran die aktuelle und akute Personalnot.

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Diese persönliche Erfahrung steht beispielhaft für Beobachtungen im Kontext der Bildungspolitik: Eifrig werden Ideen geschmiedet, als deren Ergebnis sich die Schulen mit immer neuen Erwartungen und Empfehlungen konfrontiert sehen. Mögen die Motive mitunter hehr sein, so handelt es sich nicht nur um eine Einmischung in eigene (bildungs-)politische Angelegenheiten, sondern auch um Eingriffsversuche über Systemgrenzen hinweg – werden doch für politische Probleme pädagogische Lösungen und für pädagogische Fragen politische Antworten gesucht. In einer, wie Soziologen sagen, funktional differenzierten Gesellschaft wie der unseren scheitern solche Vorhaben dann oft daran, dass die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche ihrer eigenen spezifischen Rationalität folgen.

Nicht ganz zufällig entsteht daher der Eindruck, dass das politische System zahlreiche, ursprünglich gar nicht pädagogisch induzierte, sondern erst durch politische Versäumnisse entstandene Probleme in pädagogische umdefiniert, um sich ihrer zu entledigen, wie Yvonne Ehrenspeck und Dieter Lenzen einmal pointiert formuliert haben. Umgekehrt wären Politiker vor diesem Hintergrund nicht schlecht beraten, ihr Engagement zunächst auf die eigene, also auf die politische Sphäre zu richten. Indem die Politik bei sich selbst beginnt, mit gutem Beispiel vorangeht und sich in puncto Ratschläge, Reformen etc. für andere Bereiche der Gesellschaft in Verzicht übt, ließe sich Vertrauen als Grundlage für die bevorstehenden Veränderungsvorhaben aufbauen. Was aber ließe sich in diesem Sinn nicht tun?

Autonomie stärken

Ein erster Ansatzpunkt könnte die Selbstverpflichtung der Politik sein, den eigenen Nachwuchs jenem öffentlichen Schulsystem, für deren Voraussetzungen sie maßgeblich die Verantwortung trägt, anzuvertrauen, und sich gegenüber Privatschulen in Zurückhaltung zu üben. Ein zweiter Ansatzpunkt für Nichteinmischung böte sich bei den zahlreichen Postenbesetzungen an, wo Beziehungen zwar nicht selten objektive, aber zugleich suboptimale Kriterien für die Personalauswahl darstellen. Ein dritter Ansatzpunkt wäre, den oben genannten Verlockungen der Problemverlagerung im Sinn des Abschiebens eigener Versäumnisse an das Schulsystem, dem damit die Bewältigung zugemutet wird, nicht nachzugeben.

Diese Punkte ließen sich einerseits ohne Probleme um weitere ergänzen, andererseits auf weitere öffentliche Bereiche, allen voran auf das Gesundheits- oder das Sozialwesen übertragen. Stets ginge damit eine Stärkung sowohl der politischen als auch der professionellen Autonomie einher, womit sich die Akteure in den anstehenden Veränderungsvorhaben auf neuer Augenhöhe begegnen könnten.

Dr. Paul Reinbacher (*1978) arbeitet als Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich im Bereich Bildungsmanagement.

E-Mails: debatte@diepresse.com 

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