Ist das der Anfang vom Ende der starken Männer auf dem Balkan? Politikwissenschaftler Vedran Džihić warnt, dass Serbiens Präsident trotz Massenprotesten nicht so leicht das Feld räumen wird. Und er befürchtet, dass Vučić die Spannungen mit Kosovo verschärft.
Serbiens Präsident, Aleksandar Vučić, holt zum Gegenschlag aus. Für Freitag hat er seine Anhänger zu einer Großkundgebung nach Belgrad gerufen. Es ist seine Antwort auf die Massenproteste gegen ihn: Nach zwei Amokläufen mit 18 Toten Anfang Mai, unter anderem in einer Schule, hatten zunächst Tausende gegen Waffengewalt und das Versagen der Behörden demonstriert. Doch bald wurde der Ruf nach einem Rücktritt des Staatschefs laut.
Die Presse: In Montenegro wurde Präsident Milo Djukanović nach vielen Jahren an der Macht abgewählt. In Serbien gerät Präsident Vučić durch die großen Proteste gegen ihn unter Druck. Ist das der Anfang vom Ende der starken Männer auf dem Balkan?
Vedran Džihić: Ich denke, dafür ist es noch zu früh. Dass Djukanović abgewählt worden ist, zeigt, dass die starken Männer auf dem Balkan nicht unschlagbar sind. Die große Frage ist aber, ob das stärkste semiautoritäre System in der Region, das in Serbien, auf diesem Weg so leicht gekippt werden kann. In Montenegro gab es eine Opposition, und sie hatte genug Raum, um einen konkurrenzfähigen Wahlkampf zu führen.
Und was ist in Serbien anders?
Vučićs Machtapparat ist weitaus stärker. Seine Partei ist mit 700.000 bis 800.000 Mitgliedern gemessen an Serbiens Einwohnerzahl wohl eine der größten der Welt. Die Partei setzt sich in allen Teilen der Gesellschaft fest. Sie ist eine Umverteilungsmaschinerie, die Jobs vergibt. Das schafft Abhängigkeiten. Vučić macht Intellektuelle und Wirtschaftstreibende abhängig. Und er hat eine nahezu uneingeschränkte Macht über die Medien. Vučić hat es auch geschafft, den USA und der EU einzureden, dass er ein Stabilitätsfaktor sei. Der Westen kuschelt zu sehr mit Vučić, offenbar aus Angst vor dem, was nach ihm kommen könnt

Dabei lobt Vučić ja vor allem seine – wie er sie nennt – Brüder Russland und China.
Vučić ist ein Meister der Schaukelpolitik. Seit er an der Macht ist, hat er sich zwischen China, Russland und Deutschland, den USA und auch der Türkei strategisch positioniert. Serbiens Öffentlichkeit ist zum Großteil prorussisch. Damit spielt er – und das hat er auch selbst verstärkt. Als er angetreten ist, war die Stimmung in Serbien viel weniger prorussisch und antiwestlich, als sie das heute ist. Vučić wird diese Schaukelpolitik auch in Zukunft nicht aufgeben.