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Wiens erste Drag Queen: "Viele schöne Menschen sind leider nur schön"

Mario Soldo mit Hund Toska in seiner Galerie.
Mario Soldo mit Hund Toska in seiner Galerie.(c) Carolina Frank
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Mario Soldo aka Dame Galaxis war die erste Drag Queen Wiens. Heute betreibt er eine Booking Agency und eine Galerie. Ein Treffen zum Sechziger.

„Das Ausgehen ist ganz anders geworden. Heute muss man überall reservieren. Da läuft nichts mehr spontan“, sagt Mario Soldo. „Das Sass ist der einzige Club, in den ich wirklich gern gehe. Die Zeiten waren früher verrückter“, seufzt er.

Soldo, der als Gastarbeiterkind mit drei Jahren nach Wien kam, entwickelte zunächst sein Sprachtalent. „Deutsch habe ich im Rubenspark gelernt. Bei den Eltern wurde Serbokroatisch gesprochen. Mit den Brüdern Deutsch. Auf dem Gymnasium habe ich dann mehr gelernt. Heute kann ich in sechs Sprachen philosophieren.“

Epikurs berühmte Sentenz „Suche Lust und vermeide Unlust“ hat er jedenfalls früh befolgt. Die übliche Trennung zwischen Beruf und Freizeit, die war bei Soldo stets recht unscharf. Wie es in den Achtzigern üblich war, ergab sich die Karriere über das Ausgehen. Sein erstes richtiges Nest fand er im U4. Dessen Betreiber Ossi Schellmann förderte ihn. „Ihm habe ich viel zu verdanken. Der Ossi hat mich entdeckt. Er wollte, dass ich die U4-Modeschau ansage. Da konnte ich mich ausprobieren. Nicht zuletzt als Drag Queen.“

Inspiriert von Boy Georges Videoclip „Karma Chameleon“ verwandelte sich Soldo in Dame Galaxis. Damit schaffte er es beispielsweise auch ins Falco-Video von „Junge Römer“. Seine Eltern schauten sich das von der ersten Reihe aus an, ohne viel zu assoziieren. „Sohn, kriegst du eigentlich auch Geld dafür?“, fragte ihn sein Vater. „Ja, richtig viel.“ Damit war das Thema erledigt. Sein Coming-out hatte Soldo in seiner Schulklasse. „Mit 17 Jahren in der Elf-Uhr-Pause. Wir haben uns die Zeit mit einem Spiel vertrieben, und plötzlich hatte ich ein Heureka. ,Wisst ihr was? Ich glaube, ein Männerarsch ist geiler als ein Frauenarsch. Ich glaub, ich bin schwul.‘ Ein paar Sekunden lang war Stille, dann war Applaus. Alles haben das akzeptiert. Ich finde es toll, dass ich akklamierterweise mein Coming-out haben konnte. Bei der Mama hatte ich es erst mit 30, beim Papa nie.“

Hinaus in die Welt

Dafür ging es in die Welt hinaus. Mittlerweile hatte Dame Galaxis in Chantal St. Germain eine ideale Gefährtin bekommen. Beim gemeinsamen Dreh zu Peter Rauhofers Song „Let Me Be Your Underwear“ lernten die beiden Drag Queens in Ibiza Jean-Paul Gaultier kennen. „Er lud uns zum Auftritt in jene Show, in der auch Madonna mit nacktem Busen auftrat. Das war vor 5500 Besuchern im Shrine-Auditorium in L.A. Unvergesslich.“ Das war 1992. Im selben Jahr sorgte auch RuPaul mit seinem Song „Supermodel“ für Furore. Und das ist das Stichwort zum eigentlichen Hauptberuf Soldos. Den hat er selbstverständlich auch nie angestrebt. Der passierte ihm. „Mario, willst du Booker werden?“, fragte man ihn am Telefon. „Was?“ „Na, Modelbooker.“ Neues Wort, neue Branche.

„Es war der einzige Job, den ich von der Pike auf gelernt habe. Es war die Zeit der Supermodels wie Linda Evangelista, Naomi Campbell und Claudia Schiffer. Da habe ich in der Highclass-Model-Agency Erfahrungen gemacht, die ein Buch wert wären.“ Seine heutige Mother Agency funktioniert anders. „Ich lege nicht mehr viel Wert auf ein „Vogue“-Cover. Ich bin pragmatisch geworden. Ich war der Erste, der mit Models über Vierzig zu arbeiten begonnen hat. Das war lange Zeit verpönt. Früher war ein G'riss ums beste Gesicht, heute ist mir wichtig, dass die Models gut reden und lachen können. Sie müssen Selbstbewusstsein und Charisma haben. Viele schöne Menschen sind leider nur schön.“

Sesshaft geworden

Gegen Oberflächlichkeit hilft auch Kunst. Und so hat er 2021 die auf zeitgenössische Kunst fokussierte Galerie Soldo eröffnet. „Kunst und Models – beides lässt sich verkaufen. Aber beides muss man vorher kennenlernen“, so Soldo. Er ist einigermaßen sesshaft geworden. „Ich habe lange Zeit das Universum so gesteuert, dass ich Idole wie Dame Edna, Divine, Nina Hagen und John Waters treffen konnte.“ Heute muss die Welt zu ihm kommen. „Ich habe meinem Hedonismus immer freien Lauf gelassen. Aber heute hat mein Hund Toska Priorität.“ Das ist die Lust der späten Verantwortung.

Auf einen Blick

Mario Soldo wird 1963 in Jugoslawien geboren, 1966 kommt er mit seinen Eltern nach Wien. Er scheitert bei der Aufnahmeprüfung am Reinhardt-Seminar, besucht einen Schauspielkurs bei George Tabori. 1983 erste Auftritte als Drag Queen bei der U4-Mode. Er arbeitet als Model Agent und Übersetzer bei den großen Modeschauen der Neunzigerjahre zwischen Paris, Mailand, London, New York und L.A. und tritt in zahlreichen Musikvideos u. a. von Falco („Junge Römer“) und Peter Rauhofer auf. Heute betreibt er die Mother Agency, eine Agentur für Models über Vierzig, seit 2021 zudem die Galerie Soldo in Wien 4, Mittersteig 1. Vernissage am 1. Juni: Ulli Klepalski, „Time of Your Life“, ab 18 Uhr.

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