Gastkommentar

Das Narrativ der Antiinflationspolitik

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Wirtschaft. Um die öffentliche Meinung zur Inflationspolitik zu ändern, muss man mehr als ein paar Hebel drücken.

Der Autor

Kurt Kratena (*1961), Doktorat Volkswirtschaft (1988), Habilitation Umweltökonomie (2008), von 1993 bis 2015 am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), seit 2015 Leitung des Centre of Economic Scenario Analysis and Research (Cesar).

Die Debatte zur Inflationsbekämpfung durch die Bundesregierung in Österreich wird von einem hysterischen Starren auf den letzten Monatswert des Preisindex beherrscht, der dann unreflektiert mit dem Monatswert jener Länder, die bewusst eine andere Politik gewählt haben, verglichen wird. Eine Regierung, die allein 2022 ca. acht Milliarden Euro in Form von Kompensationen ausgegeben hat, steht anscheinend hilflos in der Kritik dafür, dass Österreich im April 2023 eine zu hohe Inflationsrate aufweist. Aus diesem Dilemma gibt es nur einen Ausweg, der noch nicht konsequent genug beschritten wurde, nämlich das Narrativ der Bekämpfung der Inflation in Österreich konsequent richtigzustellen.

Die wesentlichste Botschaft wäre, dass Österreichs Politik gar nicht – wie die anderer Länder – auf geringere Preissteigerungen durch Eingriffe in Märkte als Mittel der Inflationsbekämpfung abzielt. In Österreich stand die Kompensation der vulnerablen Gruppen im Vordergrund. Es ist klar, dass eine derartige Politik sich nicht an der Inflationsrate messen lassen muss, sondern eher an der Realeinkommensentwicklung, bei der 2022 vergleichsweise gute Ergebnisse erzielt wurden. Der Preismechanismus hat eine Informations- und Lenkungsfunktion, gerade in einer nach der Pandemie und bei Ausbruch des Ukraine-Kriegs sich abzeichnenden Mangelwirtschaft. Österreich hat in dieser Situation bewusst nicht auf Markteingriffe gesetzt. Diese können wesentliche negative Folgeeffekte haben, wie eine Verknappung des Angebots (z. B. den Treibstoffmangel in Ungarn, eine Verknappung von Wohnraum bei Mietpreisbremsen), eine ungenügende Reaktion der Nachfrage (z. B. eine zu geringe Reduktion des Gasverbrauchs) und damit die tatsächliche, ursprünglich durch Inflation ausgelöste Belastung der Bevölkerung erhöhen. Kompensationen erlauben, den Markt wirken zu lassen und dennoch bedürftige Gruppen der Bevölkerung zu verschonen.

Ein zweiter wesentlicher Punkt im Narrativ ist die Treffsicherheit, die allerdings nicht nur ein Problem der österreichischen Politik der Kompensationen ist, sondern sich genauso bei Markteingriffen ergibt. Bei Markteingriffen sogar zwangsläufig, da sinkende Preise auch den Haushalten mit hohen Einkommen zugutekommen.

Eine nette Illusion

Die Idee, das politisch engmaschig steuern zu können, z. B. durch eine Senkung der Mehrwertsteuer für „Grundnahrungsmittel“, ist eine nette Illusion, die unserer modernen, durch enorme Produktvielfalt gekennzeichneten Konsumwelt nicht gerecht wird (der Preis einer Semmel variiert zw. 40 Cent und mehr als einem Euro). Studien für Österreich zeigen allerdings mangelnde Treffsicherheit der Antiteuerungsmaßnahmen im Jahr 2022. Nicht treffsicher bedeutet nicht, dass die Bedürftigen nicht genügend kompensiert werden, sondern dass auch andere, nicht bedürftige Haushalte in den Genuss von Kompensationen kommen, wie das bei Markteingriffen und einer Mehrwertsteuersenkung immer der Fall ist. Der Vorteil einer auf Kompensationen aufbauenden Politik ist aber, dass eine treffsichere Ausgestaltung prinzipiell möglich ist.

Der dritte Teil des Narrativs betrifft den Vorwurf, dass durch die Kompensationen die Inflation zusätzlich angeheizt wird. Dieses Argument ist theoretisch korrekt, nur stellt sich die Frage, ob es empirisch relevant ist. Hätte die Wirtschaftspolitik die Inflation 2022 ohne Kompensationen wirken lassen, dann hätte ein Teil der Bevölkerung gehungert und gefroren. Kompensationen, die das verhindern, waren somit absolut notwendig, daher ist der Effekt solcher Hilfszahlungen auf die Inflation irrelevant. Der Effekt des Anheizens der Inflation spielt dann eine Rolle, wenn zu viel kompensiert wird. Eine Studie des Fiskalrats kam zu dem Ergebnis, dass Hilfen, die nur auf die unteren 35% der Einkommensverteilung gewirkt hätten, ca. drei Milliarden Euro Ausgaben gespart hätten. Diese drei Milliarden haben die Inflation maximal um ca. 1,3% angeheizt, und das sollte in Zukunft vermieden werden.

Auch Aufgabe der Notenbanken

So ähnlich könnte das Narrativ aussehen. Ergänzt werden müsste es um die Aussage, dass die Wirtschaftspolitik nicht jede negative Entwicklung voll abfedern kann und Antiinflationspolitik auch Aufgabe der Notenbanken ist. Aber wie verbreitet man das Narrativ wirksamer in der Gesellschaft? Es gibt in meiner Erinnerung zwei Großereignisse der österreichischen Wirtschaftspolitik, bei denen das gelungen ist, nämlich die Steuerreformen der Ära Lacina-Ditz Ende der 1980er-Jahre und die Volksabstimmung zum EU-Beitritt 1994. Im ersten Fall gab es eine breite Expertenkommission, deren Mitglieder Hunderte Beispiele für einzelne Lebenssituationen durchgerechnet und in zahlreichen Vorträgen für alle Ebenen der Bevölkerung nähergebracht haben. Im zweiten Fall haben Politik und Wirtschaftsforschung in unzähligen öffentlichen Veranstaltungen intensiv und offen alle potenziellen Vor- und Nachteile einer EU-Mitgliedschaft diskutiert. Sollte das – auf einer viel kleineren Skala – nicht auch für die Antiinflationspolitik möglich sein?Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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