Zeitreise

Der Traum von einer Armee, die funktioniert

Archivbild einer Angelobung von Rekruten am Wiener Heldenplatz.
Archivbild einer Angelobung von Rekruten am Wiener Heldenplatz.APA/HBF/DRAGAN TATIC
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Ein Experte seziert die strukturellen Mängel des Bundesheeres. Ein Berufsheer sei genauso wenig die Lösung, wie das derzeitige System mit „militärischen Lehrlingen“. Die logische Antwort stecke bereits im Verfassungsauftrag.

Die österreichische Bundesverfassung (Art. 79) und das Wehrgesetz (§ 2) sehen ein Bundesheer „nach den Grundsätzen eines Milizsystems“ vor. Dass dies seit Jahren nicht passiert, kritisiert der Militärexperte Alfred C. Lugert in seinem neuen, soeben präsentierten Buch als schweren Rechtsverstoß, „aber auch als Verstoß gegen die militärstrategische und ökonomische Logik“. Sein Urteil hat Gewicht: Er war Milizoffizier (Oberst), Militärdiplomat bei der OSZE und Kurskommandant des Internationalen UN-Stabsoffizierskurses.

Ohne Polemik zitiert der Autor den „Tagesbefehl“ des Bundespräsidenten Van der Bellen aus dem Dezember 2018, dass der Zustand des Bundesheeres nicht verfassungskonform sei. Er schloss damals mit den Worten: „Die Österreicher würden es schätzen, ein Bundesheer zu haben, auf das sie sich verlassen können.“ Lugert verkneift sich nobel die Feststellung, dass der Mann einst ganz anders redete.

Schlagzeilen durch öffentliche Kritik von Starlinger

Immerhin: Die damalige Wortmeldung aus der Hofburg – formuliert vom Adjutanten Generalmajor Thomas Starlinger – brachte viele Schlagzeilen und eine muntere Diskussion. Freilich mit falscher Zielsetzung, wie der Experte beklagt: „Alles, was zu hören und lesen war, war der simple und in seiner Einseitigkeit sogar falsche Ruf nach mehr gutem Geld für das falsche Wehrsystem. In der Wirtschaft kennt man diese Vorgänge als Versuch einer Rettung eines falsch aufgestellten und vor dem Konkurs stehenden großen Unternehmens.“

Wozu überhaupt eine Armee? Man benötigt das Bundesheer als strategische Reserve der Republik, um bei zukünftigen Bedrohungen Gegenmaßnahmen treffen zu können. Und diesen Bedrohungen kann militärisch begegnet werden, es geht aber auch um Ordnung und Sicherheit im Inneren, um Katastrophenfälle und internationale Hilfestellungen durch Auslandseinsätze.

Dazu braucht Österreich aber ein geeignetes, finanziell machbares Wehrsystem. Viel zu lang – eigentlich seit Gründung der Armee 1955 – hat der Gesetzgeber diese Lebensfrage negiert. Die zahllosen Verteidigungsminister waren am wenigsten schuld daran.

Grundsätze des Milizsystems

Ein Berufsheer? Unnötig, meint Lugert, viel zu teuer und militärisch nicht adäquat. Aber auch nicht das heutige Heer mit einem Berufskader und unausgebildeten Rekruten, also „militärischen Lehrlingen“, sowie einer ungewissen Anzahl Freiwilliger des Milizstandes, die aus Kostengründen fast nie üben dürfen.

Die logische Antwort stecke bereits im Verfassungsauftrag: Einrichtung des Bundesheeres nach den Grundsätzen eines Milizsystems. Nur so könne man der sich ständig ändernden Bedrohungslage flexibel begegnen – einerseits mit ausgebildeten Milizsoldaten und einer kleineren, aber sehr wichtigen Anzahl an Berufsmilitärs.

Es geht nicht anders, formuliert Lugert. Österreich müsse sich der unangenehmen Debatte stellen – ob es eine Rückkehr zum Milizsystem wolle, das einst einen Mobilmachungsrahmen von 300.000 Mann ermöglichte. Nach sechs Monaten Präsenzdienst würden die ehemaligen Grundwehrdiener in den Folgejahren wieder zu Truppenübungen im Gesamtausmaß von zwei Monaten verpflichtet. So wie das seit 1971 gegolten hat. „Sechs Monate sind genug“, ließ Kreisky damals plakatieren. Das Kleingedruckte verschwieg er listig. Jetzt wird es wohl wieder nötig werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2023)

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