Nachkriegsösterreich

„Schlimm war, dass wir so leise sein mussten“

Bücherverbrennung, Berlin 1933. In Österreich wurde dieser barbarische Akt nach dem „Anschluss“ freudig imitiert.
Bücherverbrennung, Berlin 1933. In Österreich wurde dieser barbarische Akt nach dem „Anschluss“ freudig imitiert. Everett Collection / picturedesk
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Ingeborg Bachmann und Elfriede Gerstl waren in der Zeit des Nationalsozialismus Kinder. Beiden war Schweigen auferlegt. Später sprachen sie – doch das Schweigen vieler anderer hielt an, auch in den Nachkriegsjahren.

Im Mai 1933, wenige Monate nach der Machtergreifung durch die NSDAP in Deutschland, fand auf dem Berliner Opernplatz ein brachialer Akt der Geistesvernichtung statt. Vor den Augen des Reichsministers Goebbels, unter Mitwirkung Lehrender und Studierender an deutschen Universitäten und dem Jubel des zahlreich erschienenen Publikums wurden öffentlich Bücher verbrannt, deren Inhalte nicht den ideologischen Vorgaben oder deren Schöpfer nicht den Rassengesetzen des nationalsozialistischen Regimes entsprachen.

Österreich war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Diktatur, doch in vielem gemäßigter, auch was die Literatur betraf. Unliebsame Bücher wurden nicht verbrannt, sondern nur aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt. Zuständig dafür war ein gebürtiger Kärntner, der Staatssekretär und spätere Minister Guido Zernatto. Zernatto war eine höchst widersprüchliche Persönlichkeit. Selbst ein begabter Lyriker, Bewunderer des Dichters Theodor Kramer, der ihn anfangs auch förderte, hat er eines der schönsten Gedichte der österreichischen Literatur verfasst: „Die Sonnenuhr“. „Die Sonnenuhr an unsrer Kirchenwand blieb stehen“, so beginnt es, und es endet mit der Strophe: „Die Bauern waren auf den Feldern draußen. / Der Meßner schlief in seiner Stube unterm Turm. / Kein Mensch begriff. Nur meine Finger wiesen / gespreizt vor Angst ins Nichts. Dann stießen / Winde ins Tal und gegen Abend kam der Sturm.“ Zernatto, dem als Politiker Sozialisten und Nationalsozialisten gleichermaßen verhasst waren, und der sich daher nicht scheute, auch die bewunderten Werke seines Förderers Kramer wegen dessen politischer Einstellung aus den Bibliotheken zu verbannen, wurde 1938 selbst hinweggefegt von dem Sturm, den er vorhergesehen hatte, und musste flüchten, bis nach New York, wo er 1943 39-jährig starb, „verloren“, so schrieb er in einem seiner letzten Gedichte, „wie ein Waldtier, das in Winternächten schreit“.

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