Expedition Europa

Der Herrgott soll es in der Ukraine richten

70 Prozent der slowakischen Bevölkerung lehnt militärische Hilfe für die Ukraine ab.
70 Prozent der slowakischen Bevölkerung lehnt militärische Hilfe für die Ukraine ab.Imago
  • Drucken

Expedition Europa: Im slowakischen Moldava an der Bodva repariert ein Rüstungsbetrieb Militärtechnik für die Ukraine. Der Gemeinderat ist gespalten.

Neben Ungarn, das nicht einmal die Durchfuhr von Rüstungsgütern in die Ukraine erlaubt, ist der Nato-Staat Slowakei das schwächste Glied in der proukrainischen Front: Frühere Regierungen haben Kiew zwar bedeutende Waffensysteme übergeben, doch etwa 70 Prozent der slowakischen Bevölkerung lehnt militärische Ukrainehilfe ab. Das Weltdilemma verdichtet sich in einer multiethnischen ostslowakischen Kleinstadt, die man auch im Land nur wegen eines Exzesses von Polizeigewalt gegen Ghetto-Roma kennt. In Moldava an der Bodva, nur 122 Straßenkilometer von der Ukraine, repariert der Rüstungsbetrieb „Konštrukta Defence“ Militärtechnik für die Ukraine. Die staatliche Firma, die 30 Hallen einer alten Gewerbezone nutzt, will auch die restlichen 24 Hallen dazukaufen. Am 12. April stimmte der Gemeinderat jedoch dagegen. Das von Investoren gemiedene Städtchen verzichtete damit auf mindestens zwei Millionen Euro und etwa 100 neue Arbeitsplätze.

Das Video der Sitzung zeigt, wie sieben der 13 Abgeordneten, orbánfreundliche Angehörige der ungarischen Minderheit, die vom slowakischen Bürgermeister unterstützte Werkserweiterung zu Fall brachten. Ein kräftiger Kerl namens Zoltán Dobos stieg so ein: Er habe vor Kurzem in Moldava „eine gewaltige Maschine“ gesehen, die 28 Tonnen schwere Haubitze Zuzana, „die ist direkt in die Ukraine gefahren, und ich habe richtig Tränen in den Augen gehabt, mein Gott, damit bringen sie Menschen um. So was kann ich moralisch nicht unterstützen.“

Die Befürworter verwahrten sich gegen „moralisierende Demagogie“, zogen ihrerseits aber nicht die Karte der Moral eines ukrainischen Selbstverteidigungsrechts, sondern drucksten herum, der Rüstungs-betrieb sei „leider“ nun einmal da, sei halt mit nur 50 Beschäftigten der größte Arbeitgeber und richte im Übrigen auch Ambulanzen her. Die in Moldava umgehende Furcht, man könnte Ziel eines Bombenangriffs werden, wurde nur in der Form eines Verhasplers ausgesprochen: „Wir können nicht in den Zielsucher einer Firma kommen“ – damit war Russland gemeint –, „denn dort sind wir eh schon.“

Ich besuchte den seit der Polizeigewalt von 2013 berühmten Roma-Slum, zwei, drei Hektar mit 1100 jungen Leibern hinter dem Hochwasserdamm der Bodva. Sie sprachen Romanes und kein Slowakisch, Unterrichtssprache in der Ghetto-Schule ist Ungarisch, wofür ihnen Orbán „jährlich 75 Euro pro Kind auszahlt“, und weswegen sie beim Schauen ungarisch synchronisierter türkischer Serien auf Kindernamen wie „Emir“ kommen. Die Outcasts haben zwei Vertreter der „Roma-Koalition“ im Gemeinderat, das seien aber längst außerhalb der Slums residierende „Wucherer, die sich für fünf Euro die Stimmen ihrer Schuldner kaufen“. Zum Weltdilemma hatten die Roma keine Meinung: Nicht einmal ihr mit internationalen Menschenrechtspreisen ausgezeichneter Aktivist hatte je vom Rüstungsbetrieb in seiner Stadt gehört.

Am Montag ging ich ins Rathaus. Der Bürgermeister war auf Urlaub, hatte mir aber ein fein ziseliertes Papier hinterlassen, in dem er sich zu „Militärhilfe zur Verteidigung der territorialen Integrität“ der Ukraine bekannte. Den sieben Nein-Sagern warf er „Versagen auf moralischer, pragmatischer und politischer Ebene“ vor: „Ich bin enttäuscht, da ich mich als Bewohner Europas fühle und innere Scham darüber empfinde, dass sich Vertreter der Stadt in dieser Sache so verantwortungslos und oberflächlich verhalten haben.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.