Türkei

Erdogan oder Kilicdaroglu: Stichwahl entscheidet über türkische Präsidentschaft

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Seit Sonntagfrüh sind die Wahllokale geöffnet. Kilicdaroglu rief dazu auf, die Urnen zu schützen. In Österreich gab es erneut eine Rekordbeteiligung.

Die Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei hat begonnen. Seit Sonntagfrüh 8.00 Uhr Ortszeit (7.00 Uhr MESZ) können Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme entweder dem amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan oder seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu geben. Die Wahllokale haben bis Sonntagnachmittag (16.00 Uhr MESZ) geöffnet.

Der 74-jährige Kilicdaroglu rief seine Anhänger unter anderem dazu auf, die Wahlurnen zu schützen, "denn diese Wahl findet unter sehr schweren Bedingungen statt." So sollen im Südosten des Landes die Wahlbeobachter seiner Partei angegriffen worden sein. In der Provinz Sanliurfa seien die Wahlbeobachter der Partei geschlagen und ihre Telefone kaputt gemacht worden, weil sie gegen Unregelmäßigkeiten Einspruch erhoben hätten, schrieb der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Özgür Özel auf Twitter.

Es gelte, die Herrschaft von Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan zu beenden, meinte Kilicdaroglu. "Ich lade alle Bürger dazu ein, an die Urne zu gehen, um die Unterdrückung und die autoritäre Führung abzuschaffen und diesem Land echte Freiheit und Demokratie zu bringen."

Erdogan rechnet erneut mit hoher Beteiligung

Erdogan sagte bei seiner Stimmabgabe in Istanbul, dass es sich um die erste Stichwahl in der Geschichte der Türkei handle. Er lobte die hohe Wahlbeteiligung in der ersten Runde am 14. Mai und sagte, er rechne erneut mit einer hohen Teilnahme.

Der 69-jährige Erdogan geht als Favorit in die Abstimmung. Er hatte bei der ersten Runde der Wahl vor zwei Wochen zwar die meisten Stimmen erhalten, verpasste aber die nötige absolute Mehrheit. Kilicdaroglu landete etwa 4,5 Prozentpunkte hinter dem islamisch-konservativen Staatschef, der seit 20 Jahren die Geschicke des Landes lenkt.

Ergebnisse früher als bei erstem Wahlgang erwartet

Die Ergebnisse der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei sollen früher verfügbar sein als die Ergebnisse der ersten Runde. Weil es nur eine Abstimmung mit zwei Kandidaten sei, werde die Auszählung voraussichtlich schneller gehen, erklärte der Leiter der türkischen Wahlbehörde, Ahmet Yener, am Sonntagvormittag. Eine Zeit nannte er nicht. Die Abstimmung laufe bisher störungsfrei ab, so Yener. An sich darf offiziell erst ab 20.00 Uhr über Ergebnisse berichtet werden. Die Wahlkommission hat diese Regel in der Vergangenheit aber meist außer Kraft gesetzt und eine frühere Berichterstattung zugelassen.

Nach der ersten Abstimmung am 14. Mai hatten sowohl die Staatsagentur Anadolu als auch die oppositionsnahe Agentur Anka bereits am Abend gemeldet, dass es in eine zweite Runde gehen würde. Die Wahlbehörde verkündete ihr vorläufiges Endergebnis allerdings erst gegen Mittag am Folgetag. In der ersten Runde hatten die rund 61 Millionen Wahlberechtigten in der Türkei auch ihre Stimme für ein neues Parlament abgegeben, was die Auszählung verlangsamte.

Wahl frei, aber unfair

Die erste Wahlrunde galt als grundsätzlich frei, aber unfair. Internationale Wahlbeobachter bemängelten etwa die Medienübermacht der Regierung und mangelnde Transparenz bei der Abstimmung. Die Wahlbehörde YSK gilt zudem als politisiert. Ein kritischer Punkt bei der Durchführung der Abstimmung sind die zahlreichen Wahlbeobachter an den Urnen. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hatte vor der zweiten Abstimmungsrunde erklärt, Wahlbeobachter der Organisation Oy ve Ötesi davon abhalten zu wollen, an den Urnen vertreten zu sein. Besonders bei der Opposition löste die Aussage Sorge aus.

Die Abstimmung fällt auf ein für die Opposition symbolisches Datum: Am Sonntag jähren sich auch die regierungskritischen Gezi-Proteste zum zehnten Mal. Die Demonstrationen im Frühjahr 2013 hatten sich zunächst gegen die Bebauung des zentralen Istanbuler Gezi-Parks gerichtet. Sie weiteten sich zu landesweiten Demonstrationen gegen die immer autoritärere Politik Erdogans aus, der damals noch Ministerpräsident war. Dieser ließ die weitestgehend friedlichen Proteste brutal niederschlagen.

Bestimmendes Thema Migration

Bestimmendes Thema vor der zweiten Runde war das Thema Migration. Sowohl Erdogan als auch Kilicdaroglu sicherten sich die Unterstützung von rechtsnationalen Politikern. Vor allem Kilicdaroglu machte die Rückführung von Flüchtlingen nach Syrien zu seinem Hauptwahlkampfthema und verschärfte seinen Ton gegenüber der ersten Runde deutlich.

Die Türkei beherbergt rund 3,4 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien. Für Europa spielt sie in der Migrationspolitik eine große Rolle. Weiteres Thema im Wahlkampf war die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Erdogan beschimpfte die Opposition immer wieder als "Terroristen". Der Amtsinhaber trat zudem mit der Ansage an, bei einer Wiederwahl stärker gegen lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Menschen vorgehen zu wollen.

Erneut Rekordbeteiligung in Österreich

Rund 61 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Türkische Staatsbürger in Österreich haben bereits abgestimmt. Es war hierzulande erneut eine Rekordbeteiligung verbucht worden. Wie die türkische Botschaft in Wien mitteilte, wurden insgesamt 67.726 Stimmen gezählt. Dies entspreche einer Beteiligung von 60,47 Prozent der 112.000 Stimmberechtigten oder um 4,3 Prozentpunkte mehr als in der ersten Wahlrunde. Im ersten Durchgang hatten 72 Prozent der türkischen Wählerinnen und Wähler in Österreich für Erdogan gestimmt.

(APA/dpa)

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