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Immobilienwirtschaft

Das Gebäude im Kreislauf

Nachhaltiger Workspace von Soravia: Robin Seestadt.
Nachhaltiger Workspace von Soravia: Robin Seestadt.(c) Patricia Bagienski-Grandits
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Recycling. Das Stichwort Kreislaufwirtschaft dominiert die Nachhaltigkeitsdiskussion – denn je mehr wiederverwertet werden kann, desto weniger neue Ressourcen werden verbraucht. Wie sieht das die Bauwirtschaft?

Rund 71 Millionen Tonnen Abfall produziert Österreich jährlich laut Umweltbundesamt. Den größten Anteil daran hat die Bauwirtschaft: Etwa 16 Prozent entfallen auf Bau- und Abbruchabfälle und 59 Prozent sind Aushubmaterialien – wie Kies oder Sand. Im Umkehrschluss bedeutet das: In der Bauwirtschaft hat man potenziell auch den größten Hebel für Einsparungen.

Einen wesentlichen Bestandteil der Diskussion nimmt der Themenkomplex der Kreislaufwirtschaft ein – also die Wiederverwertung von Materialien, die zu einem geringeren Verbrauch von Ressourcen führt. Utopie oder logisches Zukunftsszenario, will Hierländer von ihren Gesprächspartnern wissen. „Utopie sicher nicht“, attestiert Rieger – und führt gleich vielversprechende Zahlen ins Feld. So sei zwar, wie schon zu Beginn dieses Textes zu lesen, das Abfallaufkommen in Österreich vergleichsweise hoch. Das trifft aber auch auf die Recyclingquote zu: 88 Prozent der mineralischen Bau- und Abbruchabfälle werden bereits jetzt wiederverwertet. „Wir sehen schon auch, dass das Thema Nachhaltigkeit – und dazu gehört ja auch die Kreislaufwirtschaft – in Ausschreibungen und Bauträgerwettbewerben angekommen ist“, liefert Schlager ein Indiz für die fortschreitende Verwirklichung der vermeintlichen Utopie.

Das System Gebäude

Was ist da eigentlich drinnen? Eine Frage, die beim Recycling absolut zentral ist – und leider gerade beim Gebäudebestand schwer zu beantworten, wie Andreas Holler zu bedenken gibt: „Wir stehen noch am Anfang. Es geht ja nicht nur um den Neubau, sondern auch darum, wie wir das, was es schon gibt, einer Kreislaufwirtschaft zuführen können.“

Man müsse also analysieren, katalogisieren, digitalisieren. Dieser Ansatz ruft das Stichwort BIM auf den Plan. Building Information Modeling, bei dem während des Bauprozesses ein „digitaler Zwilling“ des Gebäudes erstellt wird, den man auf der Suche nach Materialien „durchleuchten“ kann. Im Idealfall wird dieser Zwilling auch im Betrieb ständig aktualisiert, sodass auch Reparaturen oder ausgetauschte Teile nachvollziehbar werden.

»„Derzeit gibt es noch keinen umfassenden Normenkatalog, der aus rechtlicher oder bautechnischer Sicht auf die Kreislaufwirtschaft Bezug nimmt.“«

Hannes Schlager

Im Neubau sei all das freilich leichter – nicht nur zu dokumentieren, welche Stoffe verbaut seien, sondern bereits beim Bau den Abriss und die Wiederverwertung im Blick zu haben. „Schrauben statt kleben“, so umschreibt es Rieger eingängig. „Also die Materialien so zusammenfügen, dass man sie auch irgendwann wieder sortenrein trennen kann. Es gibt Büros, die sich genau damit beschäftigen, Materialpässe zu erstellen, die die unterschiedlichen Baustoffe und Mengen von Gebäuden analysieren.“

Urban Gardening auf dem Dach des Buwog-Projekts „ERnteLAA“.
Urban Gardening auf dem Dach des Buwog-Projekts „ERnteLAA“.(c) Buwog/Stephan Huger

Holler wirft hier das Österreichische Unternehmen Madaster ein – schon im Namen eine Amalgamation aus Material und Kataster. Die cloudbasierte Plattform erfasst sowohl im Neubau wie auch im Bestand die verbauten Materialien und gibt außerdem Auskunft über die Kreislauffähigkeit und die Umweltauswirkungen der einzelnen Materialien.

Holler bemerkt generell eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Branche: „Es gibt viele Initiativen, junge Start-ups, die genau für diese komplexen Themenstellungen Lösungen entwickeln.“ Als Beispiel nennt er das Unternehmen Rotor in Brüssel. Das Designstudio verwertet bei der Umsetzung von Architektur- und Interior-Design Projekten Materialien wieder, beziehungsweise steht beratend zur Seite. Jüngstes Spin-off-Projekt ist Rotor Deconstruction, das auf die Wiederverwertung von Baustoffen spezialisiert ist. Dazu Holler: „Das Unternehmen hat ein Lager und eine digitale Datenbank – als Architekt oder Planer kann ich mich dorthin wenden und Materialien beziehen. So wurden schon ganze Häuser aus Recyclingmaterialien errichtet. Das hat natürlich auch seine Limits – zum einen muss man sich ansehen, ob es logistisch Sinn macht, eine andere Frage ist natürlich der rechtliche Rahmen.“

Der rechtliche Rahmen

Und dieser sei – gerade in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft – noch eher schlank, erklärt Hannes Schlager: „Derzeit gibt es noch keinen umfassenden Normenkatalog, der aus rechtlicher oder bautechnischer Sicht auf die Kreislaufwirtschaft Bezug nimmt. Da besteht sicher Aufholbedarf, etwa bei den ÖNORMEN oder den Bauordnungen. Sehr interessant ist beispielsweise, dass wir in Österreich zwar mehrere OIB-Richtlinien (des Österreichischen Instituts für Bautechnik, Anm.) haben, die in fast allen Bauordnungen der Länder verankert sind und daher Gesetzeswirkung haben. Diese Richtlinien beschreiben sechs technische Grundanforderungen an Bauwerke, die programmatisch in der europäischen Bauprodukteverordnung geregelt sind. Darunter fallen beispielsweise die mechanische Festigkeit und Standsicherheit, der Brandschutz oder auch der Schallschutz. Die Bauprodukteverordnung enthält aber eigentlich sieben Grundanforderungen.“

»„Recycling beginnt im Bau – das Gebäude muss so errichtet werden, dass die Materialien auch wieder getrennt werden können.“«

Gerhard Rieger

Diese siebte Grundanforderung besteht in der „nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen“ und sieht etwa ganz konkret vor, dass für den Bau umweltverträgliche Rohstoffe und Sekundärrohstoffe, also wiederverwendetes oder recyceltes Material, verwendet werden müssen.

Außerdem muss es möglich sein, das Bauwerk, seine Baustoffe und Teile nach dem Abriss wiederzuverwenden oder zu recyceln. Die „OIB-Richtlinie 7“ zur Umsetzung dieser siebten Grundanforderung sei in Österreich derzeit in der Planung aber, so Schlager, „das wird sicher noch einige Zeit dauern“.

Auch die EU-Taxonomie-Verordnung liefert nur grobe Anhaltspunkte. „Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft ist zwar ein erklärtes Umweltziel in der EU-Taxonomie, wird aber in der Verordnung und den erst Anfang April 2023 veröffentlichten Bewertungskriterien nur grob beschrieben. Die rechtlichen Vorgaben bringen insgesamt keine Klarheit für die Bauwirtschaft. Daher ist die vertragliche Ebene bei einer zirkulären Bauweise umso wichtiger“, betont Schlager. Nichtsdestotrotz sei der Nachhaltigkeitszug nicht aufzuhalten, so Rieger: „Trotzdem es die gesetzlichen Vorgaben noch nicht gibt, um die Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit voranzutreiben, haben wir eine Eigenmotivation und eine gesellschaftliche Verpflichtung, uns trotzdem mit dem Thema zu beschäftigen.“

»„Wir befinden uns in einer spannenden Start-up-Phase – viele junge Unternehmen finden neue Lösungen für komplexe Probleme.“«

Andreas Holler

Ein Beispiel aus der Praxis gibt Andreas Holler – den modularen Bau: „Die Idee dahinter ist, dass hier vollautomatisiert gebaut wird, das heißt es ist schneller, es ist günstiger und man hat einen genauen Überblick darüber in welchen Elementen welche Materialien verbaut sind.“ Mit entsprechend nachhaltigen Materialien könnte ein Haus so, nach dem Lego-Prinzip, vollautomatisiert und digital dokumentiert zusammengesetzt werden.

Zwei Herausforderungen allerdings ergeben sich dabei: „Zum einen brauche ich natürlich eine gewisse Masse, damit es sich auszahlt. Und zum zweiten – und damit sind wir wieder bei den Regulierungen – bräuchte es eine andere Art von Genehmigung dafür. Eine Lösung beispielsweise wäre eine Typenwidmung für die Bauteile. Denn architektonisch und bautechnisch lässt sich dieses Konzept natürlich nicht so umsetzen wie herkömmliche Bauarten.“ Und: „Damit wären Rückbau und Wiederverwertung überhaupt kein Thema mehr“, so Holler. „Theoretisch – vorausgesetzt natürlich, die Qualität passt – kann man dieses Gebäude nach Jahrzehnten wieder auseinander nehmen und irgendwo anders auf der Welt wieder aufbauen.“ Eine interessante Vorstellung – aber auch die wird wohl noch dauern.

Die drei Gesprächspartner im Profil

Hannes Schlager ist Rechtsanwalt und Gründungspartner der Akela RechtsanwältInnen GmbH. Er ist auf Immobilienrecht, Gesellschaftsrecht sowie Prozessführung spezialisiert und berät Immobilienunternehmen bei der rechtlichen Gestaltung von Projekten und der Durchsetzung ihrer Ansprüche.

Andreas Holler ist als Geschäftsführer der Buwog Group GmbH seit Ende 2013 für die Bereiche Projektentwicklung, Baumanagement, Vertrieb und Akquisition verantwortlich. Unter Andreas Holler konnte die Development-Pipeline der Buwog über die vergangenen Jahre stark ausgebaut werden – sie verfügt aktuell über rund 7000 Wohneinheiten in Bau oder Planung. Schwerpunkte seiner Aktivitäten im Neubausegment liegen unter anderen auf den beiden aktuellen Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Gerhard-Emanuel Rieger ist seit November 2020 Projektleiter bei Soravia und Geschäftsführer von diversen Projektgesellschaften. In seiner Position ist der gebürtige Niederösterreicher verantwortlich für einige der größten Immobilienprojekte des Landes. Dazu zählen unter anderem das Landmark Danubeflats, der höchste Wohnturm Österreichs, sowie das Projekt Robin Seestadt, der nachhaltigste Workspace der Stadt.

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