Gastbeitrag

Die Teilzeitdebatte krankt

Peter Kufner
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Wer sich bei Teilzeit nur auf die freiwillige Reduzierung der Arbeitszeit konzentriert, führt leider eine realitätsferne Scheindebatte.

Die Autoren

Rudolf Götz, Jürgen Pucher und Annika Schönauer sind Soziolog:innen und Politikwissenschaftler:innen und arbeiten in der ÖSB Social Innovation, die sich mit Trends und Innovationen auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt. Das Unternehmen ist Teil der ÖSB-Gruppe, einer Anbieterin für Arbeitsmarktdienstleistungen in Österreich.

Work-Life-Balance, ausreichend Freizeit und die Viertagewoche sind derzeit in aller Munde. Die meisten Vertreter der viel zitierten „Gen Z“ (also die heute 16- bis 25-Jährigen) würden sich in konservativeren Arbeitsverhältnissen nicht mehr wiederfinden, heißt es da immer, wie kürzlich auch auf der Titelseite des deutschen Magazins „Der Spiegel“. All das basiert auf einem Konzept der Freiwilligkeit – aus freien Stücken weniger Stunden arbeiten, sich aus eigenem Willen anders organisieren.

Die Debatte greift jedoch zu kurz und bildet nur einen kleinen Teil der Arbeitswelt der Gegenwart ab. Es gibt viel mehr Gründe für unfreiwillige Teilzeit, als es diese derzeit von der Freiwilligkeit geprägte Diskussion vermuten lässt.

Viele Menschen können aus gesundheitlichen Gründen keine Vollzeitarbeit annehmen. Sie sind dauerhaft oder vorübergehend körperlich oder psychisch nicht in der Lage, ihren Aufgaben täglich acht Stunden oder länger nachzugehen. Dabei sind körperliche und psychische Erkrankungen gleichermaßen relevant.

Andere Beschäftigte trauen sich ihre berufliche Tätigkeit aufgrund der Belastungen, die der Arbeitsplatz mit sich bringt, nicht im Ausmaß einer Vollzeitbeschäftigung zu. Diesen Weg in die Teilzeit aus Selbstschutz sehen wir insbesondere bei psychisch belastenden Tätigkeiten und in Branchen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, Abend- und Nachtarbeit und überlangen Arbeitstagen.

Schnell landet man hier im Pflege- und Sozialbereich sowie beim Hotel- und Gastgewerbe – es sind genau jene Branchen, die aktuell fast schon verzweifelt Arbeitskräftemangel beklagen. Die Gesundheit der Beschäftigten leidet in diesen Fällen nicht nur unter der langen Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, sondern auch unter hoher fremdbestimmter Flexibilität. Dafür bleibt die gesundheitsförderliche selbstbestimmte Flexibilität häufig auf der Strecke.

In Programmen wie der Fit2work Personen- und Betriebsberatung wird deutlich, wo es buchstäblich krankt: Viele Personen mit gesundheitlichen Problemen suchen Unterstützung, um weiterhin existenzsichernd am Erwerbsleben teilhaben zu können. Und die Unternehmen brauchen Beratung, um ihre Jobs gesundheitsförderlicher und attraktiver für Vollzeitarbeit zu machen.

Für viele keine Frage der Wahl

Wir sehen, die freiwillige Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit ist zu großen Teilen eine Scheindebatte und wird in der Regel von gesunden und gut ausgebildeten Personen geführt. In Wahrheit ist Teilzeit für sehr viele Menschen keine Frage der Wahl eines gewünschten Lebensstils, sondern eine Überlebensstrategie in einer belastenden Arbeitswelt. Teilzeitkarrieren und fragmentierte Erwerbsverläufe sind in hohem Maß mitverantwortlich, dass viele Menschen trotz Arbeit armutsgefährdet sind und im Alter von sehr geringen Pensionen leben müssen. Insbesondere sind davon, wie so oft, Frauen betroffen.

Unfreiwilligkeit verhindern

Unfreiwillige Teilzeit belastet unsere sozialen Sicherungssysteme und nimmt dem Arbeitsmarkt wertvolle Arbeitskraftressourcen, die aktuell an allen Ecken und Enden händeringend gesucht werden. Unfreiwillige Teilzeit gilt es also zu verhindern, wo immer möglich.

Wenn wir den betroffenen Menschen ermöglichen wollen, mehr zu arbeiten, müssen wir aber zuallererst mehr in gute und gesunde Arbeitsbedingungen investieren.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2023)

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