Gastkommentar

Blackbox Preisgestaltung

Teuerung. Ein wirksames Instrument zur sofortigen Senkung der Lebensmittelpreise wäre eine Antiteuerungskommission.

Die Autorin

Helene Schuberth ist Chefökonomin des ÖGB.

Lebensmittel zählen wie Wohnen und Energie zu den Grundbedürfnissen – Ökonominnen und Ökonomen würden sagen: Die Nachfrage ist relativ preisunelastisch. Kundinnen und Kunden zahlen, wenn es sein muss, auch höhere Preise. Es sei denn, sie gehören, was jetzt die Lebensmittel betrifft, zu jener halben Million Menschen in Österreich, die sich ausreichendes Essen nicht mehr leisten können – ein skandalöses Ergebnis unverzeihlicher Versäumnisse im Krisenmanagement.

Gerade in einer Situation eines allgemein steigenden Preisniveaus fällt es den Unternehmen besonders leicht – ohne formale Absprachen –, die Preise gleichzeitig zu erhöhen. Spätestens ab dem Zeitpunkt des drastischen Energiepreisanstiegs konnten viele Unternehmen – unter gefälliger Beobachtung einiger Mitglieder der Bundesregierung – ihre Marktmacht auf Kosten der Konsumentinnen und Konsumenten voll ausreizen.

Nach einem Jahr Beobachtung exorbitant steigender Preise bei Lebensmitteln schreitet Bundesminister Kocher nun ein und nimmt die Konsumenten ins Visier: Sie sollen doch selbst die Not lindern und, ausgestattet mit einem Lebensmittelpreisrechner, auf die Reise gehen und nur die günstigsten Lebensmittel einkaufen; der verstärkte Wettbewerb würde Preise senken – so steht es zumindest im Lehrbuch. In dieser außergewöhnlichen Situation, in der Marktmechanismen teilweise außer Kraft gesetzt sind, ist das Lehrbuch ein schlechter Ratgeber für wirtschaftspolitische Entscheidungen. So zeigt eine aktuelle Auswertung des Momentum-Instituts, dass etwa 70 Prozent der Produkte der jeweiligen Eigenmarken zweier großer Lebensmitteleinzelhandelskonzerne ähnliche oder gleiche Preise aufweisen; es ist überall gleich teuer. Nebulose Ankündigungen von Verschärfungen des Wettbewerbsrechts werden daran nicht so rasch etwas ändern.

Ein wirksames Instrument zur Senkung der Lebensmittelpreise wäre die sofortige Einrichtung einer sozialpartnerschaftlich besetzten, schlagkräftigen Antiteuerungskommission. Bei der Geschäftsstelle dieser Kommission wäre eine Preisdatenbank einzurichten. Die Einzelhandelsunternehmen sollen verpflichtet werden, ihre tagesaktuellen digitalen Transaktionsdaten, die an den Kassen von großen Einzelhandelsgeschäften ohnehin erfasst sind, zu melden; zum Teil werden diese bereits heute wöchentlich an Statistik Austria für die Inflationsberechnung übermittelt. Und vor allem sollten auch die Einkaufspreise gemeldet werden. Diese Kommission und die Datenbank sind dabei wichtige Instrumente, um die Verkäuferinflation, so der technische Begriff für „Gierflation“, aufzuspüren und zu beschränken. Selbst die EZB argumentiert, es bestehe die große Gefahr, dass die Inflationsrate auf hohem Niveau verharrt, wenn es nicht gelingt, die Gewinn-Preis-Spirale zu durchbrechen.

Lückenlose Erfassung

Auffälligkeiten bei der Preisgestaltung könnten dank moderner statistischer Verfahren mit geringem Ressourcenaufwand eruiert und durch die Antiteuerungskommission sanktioniert werden. Eine Stelle, die die Preisgestaltung genau beobachtet, hätte Signalfunktion: Wenn Unternehmen wissen, dass ihnen eine Kommission auf die Finger schaut, werden sie sich hüten, Preise überbordend zu erhöhen.

Nur die lückenlöse Erfassung aller Preise kann Licht in die Blackbox Preisgestaltung bringen. Mittelfristig müssten in der Preisdatenbank sämtliche Preise der Zwischenstufen der Lebensmittelversorgungskette erfasst werden. Dies ist kein drastischer Markteingriff, sondern Voraussetzung für funktionierende Märkte.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2023)

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