Gastkommentar

Eine Welt der Schulden

(c) Peter Kufner
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Es könnte uns eine globale Schuldenkrise bevor stehen. Doch die Situation der einzelnen Länder ist sehr unterschiedlich.

Die Autorin

Anne O. Krueger, ehemals Chefökonomin der Weltbank und erste stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, ist leitende Forschungsprofessorin für Internationale Ökonomie an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University und Senior Fellow am Center for International Development der Stanford University.

Die USA taumeln am Abgrund einer selbst verursachten Staatspleite. Ägypten, Ghana, Pakistan und viele andere Länder haben schwere finanzielle Probleme. Italiens und Japans Schuldenlast ist größer geworden. Und die Chinesen verzögern oder behindern multilaterale Bemühungen, die Schulden von Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zu restrukturieren. Laut dem Internationalen Währungsfonds sind 41 Länder stark verschuldet, und dies bezieht Länder mit mittlerem Einkommen wie Argentinien, Pakistan oder Sri Lanka noch nicht einmal mit ein.

Die Sorgen, die diese Meldungen ausgelöst haben, sind real, aber im Detail gibt es grundlegende Unterschiede: Die USA sind in der Lage, ihre Schulden zu bedienen, und waren viele Jahre lang ein verlässlicher Kreditnehmer. Ihr Problem ist politischer Natur. Die Frage bei den ärmeren Ländern ist hingegen, ob oder wie viel sie zurückzahlen können. Viele Länder mit niedrigem Einkommen sind auf einem Verschuldungsniveau, das bereits jetzt – oder bald – nicht mehr nachhaltig ist. Einige leisten keine Zahlungen mehr oder haben angekündigt, dass sie die Bedienung ihrer Schulden aussetzen müssen. Private Gläubiger reagieren darauf, indem sie keine weiteren Kredite vergeben.

Schnelle zusätzliche Mittel

Aber diese verschuldeten Länder können in zwei weitere Gruppen unterteilt werden: Einigen von ihnen ging es besser, bis sie durch Covid-19 gezwungen wurden, zur Finanzierung pandemiebedingter Ausgaben mehr Kredite aufzunehmen. Internationale Finanzinstitutionen haben besondere Einrichtungen ins Leben gerufen, um diesen Ländern schnell zusätzliche Mittel zu verschaffen – und um ihnen, wenn sich ihre Wirtschaft erholt, weiterhin normale Kredite zu ermöglichen.

Die Länder der anderen Gruppe waren bereits vor Covid-19 zu hoch verschuldet – oft weil sie Geld in Projekten mit geringen oder negativen Renditen versenkt haben. Ein Beispiel dafür ist Sri Lanka: 2019 kam dort eine neue Regierung an die Macht und senkte massiv die Steuern, was die bereits stark defizitären Haushalte zusätzlich belastete. So musste das Land noch mehr Kredite aufnehmen. Während die landwirtschaftliche Produktion durch politische Fehler – wie ein Importverbot von Vorprodukten – massiv verringert wurde, verschleuderte die Regierung ihre ausländischen Währungsreserven und verschuldete sich zu immer höheren Zinsen (insbesondere bei China), bis sie keine neuen Kredite mehr bekommen konnte.

Da viele stark verschuldete Länder bei Grundnahrungsmitteln, Medikamenten und Zwischenprodukten auf Importe angewiesen sind, kann es, wenn diese Importe in einer Krise nicht mehr finanziert werden können, zu Fabrikschließungen und einem starken wirtschaftlichen Rückgang kommen – wie es auch in Sri Lanka geschehen ist. Kann sich das betroffene Land dann keine Fremdwährungen beschaffen, um damit die Importe wieder zu bezahlen, bleiben wichtige Güter knapp.

Kassensturz hinauszögern

In diesen Fällen entwickelt der IWF gemeinsam mit der Regierung Maßnahmen, mithilfe derer das Land sein Wachstum und seine Kreditwürdigkeit wieder herstellen kann. Würde der IWF nicht auf solchen Reformen bestehen, würde er lediglich die Verschuldung des Landes erhöhen und einen unvermeidlichen Kassensturz hinauszögern. Um also zu gewährleisten, dass das Land mitzieht, gewährt der IWF seine Mittel normalerweise in Tranchen, die von den Reformfortschritten abhängen – wobei das Land mit der ersten Zahlung die Importe und den Schuldendienst wieder aufnehmen kann.

Angesichts der Folgen solcher Krisen für die Armen haben sich manche Beobachter für eine Schuldenreduzierung ausgesprochen – und für neue Zahlungen ohne die Bedingung, dass das Land die falsche Politik, die zur extremen Verschuldung geführt hat, korrigieren muss. Aber in ihrer Annahme, dass neue Kredite den Armen helfen, sehen sie nicht, dass dies häufig bedeutet, schlechtem Geld gutes Geld hinterherzuwerfen. In vielen Fällen sind die Länder unter anderem deshalb arm, weil ihre bisherigen Kredite in wenig produktive Investitionen geflossen sind.

Obwohl der IWF einem neuen Programm erst nach einem langen Prozess zustimmt, können nach dessen Umsetzung durchaus weitere Komplikationen auftreten. Hält der IWF die Schulden eines Landes für so hoch, dass sie nicht mehr bedient werden können, muss das entsprechende Programm auch eine Umschuldungsmöglichkeit enthalten, die mit privaten und öffentlichen Gläubigern ausgehandelt wird. Manchmal können Reformen und IWF-Gelder einem Land dabei helfen, Wachstum zu erzielen und seine Kreditverpflichtungen zu finanzieren. Aber in anderen Fällen ist die Verschuldung so extrem, dass das Land seine Zahlungsverpflichtungen zukünftig wohl nicht mehr bedienen kann. In diesem Fall treffen sich Politiker aus den Gläubigerländern und einigen sich auf Umschuldungsbedingungen – wie die Verringerung des Nennwerts der Kredite, eine Neuterminierung der Rückzahlungen oder gar einen Tilgungsaufschub. Traditionell nehmen auch private Geldgeber an diesen Gesprächen teil und stimmen einem Schuldenschnitt zu.

Aber mit Chinas Aufstieg zum größten bilateralen Kreditgeber für Entwicklungs- und Schwellenländer hat sich die Lage verändert. Die Chinesen erklären sich nur widerwillig mit Umschuldungsprogrammen einverstanden und bestehen oft darauf, den Schuldnerländern genug Geld zu leihen, damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen können. Würde der IWF zu diesen Bedingungen Mittel bereitstellen, würde ein Teil von ihnen lediglich als Tilgung an China zurückfließen, das dann gegenüber anderen Geberländern einen Vorteil hat.

Chinas Aufstieg ändert alles

IWF-Programme können deshalb erst umgesetzt werden, wenn sich alle Gläubiger auf Umschuldungsbedingungen geeinigt haben. So konnte Sri Lanka monatelang keine Mittel vom IWF erhalten, weil sich die Chinesen geweigert haben, einen Teil ihrer eigenen Kredite abzuschreiben. Stattdessen wollten sie Sri Lanka noch mehr Geld leihen, um dem Land zu ermöglichen, damit seine bisherigen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen (was seine Gesamtverschuldung bei China erhöht hätte). Auch Sambias Umschuldung wird seit November 2020 verzögert.

Inzwischen hat sich China mit einigen Ländern geeinigt, und die IWF-Mittel können fließen. Aber viele weitere verschuldete Länder müssen sich laut den Bedingungen der IWF-Programme immer noch reformieren, was bedeutet, dass weitere Verzögerungen zu erwarten sind. Hoffentlich erkennt China, dass es in seinem eigenen Interesse ist, den Prozess politischer Reformen und der Umstrukturierung von Krediten schneller und reibungsloser zu gestalten.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
© Project Syndicate 1995–2023

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2023)

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