Literatur

Neuer Roman von Joël Dicker: Autoren sind die besseren Ermittler

Joël Dicker
Joël Dicker(c) Anoush Abrar
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Der Schweizer Erfolgsautor setzt mit „Die Affäre Alaska Sanders“ seinen Bestseller rund um den Schriftsteller Harry Quebert fort: spannend, wenn auch  etwas überfrachtet.

Seit seinem Welterfolg „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ scheint der 1985 in Genf geborene frankophone Schweizer Autor Joël Dicker ähnlich erfolgsverwöhnt zu sein wie sein Protagonist Marcus Goldman. Den lässt er nun zum dritten Mal in einem Roman auftreten. Zwei Jahre sind vergangen, seit Goldman die Unschuld seines Mentors, des Schriftstellers Harry Quebert, bewiesen, aber damit auch dessen Karriere beendet hat – weil mit der Lösung des Falls bekannt wurde, dass der Literaturprofessor sein wichtigstes Buch nicht selbst geschrieben hatte. 

Seither ist Quebert verschwunden, und sein ehemaliger Schützling trauert ihm nach, hat zudem wenig Glück in der Liebe und kaum Freunde. Allein Perry Gahalowood, der Polizist, der im Fall Quebert ermittelt hat, ist ihm geblieben. In dessen Leben überschlagen sich die Ereignisse. Gahalowood vermutet, dass seine Frau, Helen, ihn betrügt, da stirbt sie plötzlich an einem Herzinfarkt. Nach dem Begräbnis bleibt Marcus Goldman, um dem Polizisten mit den beiden Töchtern zu helfen, und beginnt, der Sache mit Helen nachzugehen. Er findet heraus, dass Gahalowoods Ehefrau einem anonymen Hinweis gefolgt war, der eigentlich für ihren Mann bestimmt war: Demnach soll der für den Mord an Alaska Sanders lebenslänglich einsitzende Eric Donovan unschuldig sein. Dieser Fall hatte Gahalowood als jungen Ermittler traumatisiert. Bald ermitteln Marcus Goldman und Perry Gahalowood gemeinsam: Wer hat vor elf Jahren die 20-jährige Alaska Sanders, eine regionale Schönheitskönigin, getötet? Warum ist sie in das Kaff Mount Pleasant gezogen, obwohl sie Schauspielerin werden wollte? Weshalb hat ein Freund des Opfers den Mord gestanden, obwohl er anscheinend unschuldig ist?

„Die Affäre Alaska Sanders“ ist zwischen „Der Fall Harry Quebert“ und „Die Geschichte der Baltimores“ angesiedelt, in dem es um die tragische Familiengeschichte des anderen Familienzweigs der Goldmans geht. Alle Figuren (lebende und tote) aus dem Goldman-Universum tauchen wieder auf. Und, so viel sei verraten, auch Harry Quebert hat ein Comeback. Wer allerdings die früheren Romane nicht gelesen hat, wird mit diesen lose wirkenden Handlungsteilen nicht viel anfangen können. Und wer sie gelesen hat, für den bleibt es trotz allem zu beliebig. Marcus Goldmans Lebens- und Liebeskrisen sowie die Verweise auf die anderen Bücher sind – im Vergleich zur spannenden Krimihandlung – einfach nicht interessant genug, und die Lebensweisheiten klingen, als hätte sie eine künstliche Intelligenz aus zusammengewürfelter Ratgeberliteratur verfasst: „Freunde begegnen dir nicht, sie offenbaren sich dir.“ 

Entdeckt von Bernard de Fallois

Ein kritisches Lektorat oder ein tatkräftiger Verleger hätte dem Roman gutgetan. Einen solchen hatte Dicker in Bernard de Fallois, einer der einflussreichsten Figuren in der französischen Literatur der vergangenen Jahrzehnte. Dass sich die Geschichten aus dem Leben der Romanfigur Marcus Goldman oft klischeehaft lesen, sollte man Dicker jedoch nicht verübeln. Immerhin klingt sein eigener Aufstieg, nachdem ihn de Fallois 2012 entdeckt hat, wie ein Märchen: „Der Fall Harry Quebert“ wurde in 30 Sprachen übersetzt, es regnete große Preise und Patrick Dempsey (bekannt aus "Gray's Anatomy") schlüpfte für eine eigene Fernsehserie in die Rolle Queberts.

Nach de Fallois' Tod im Jahr 2018 würdigte der Autor den großen Verleger, indem er ihn in seinem im Schweizer Bankenmilieu spielenden Roman „Das Geheimnis von Zimmer 622“ verewigte. 2021 verließ Dicker dann die Éditions de Fallois und gründete seinen eigenen Verlag, Éditions Rosie & Wolfe in dem seine Bestseller im französischen Original erscheinen, bevor sie in Übersetzung gehen. 

Als Leser oder Leserin ist man immerhin in der Lage, je nach Belieben, ein Buch dort selbst zu kürzen, wo es bei der Überarbeitung oder im Lektorat verabsäumt wurde – indem man überblättert. Insofern ist „Die Affäre Alaska Sanders“ trotz einer schlicht zu gewollten Überhandlung und einiger Klischees fesselnde Lektüre. Dickers verdienter Ruhm liegt im Aufbau von Spannung, im Einsetzen von Plot-Twists und im Täuschen, Verstecken und Verunsichern. Der Mörder ist immer da und trotzdem perfekt getarnt.

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