Interview

Gefährlicher Guru oder "nur" konservativ? Ein Treffen mit Jordan Peterson - im Kloster

(c) Toronto Star via Getty Images (Carlos Osorio)
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„Die Presse“ sprach mit dem kanadischen Psychologen und Star der Anti-Wokeness-Bewegung, der im Web Millionen Anhänger gesammelt hat und sich kürzlich unauffällig in Österreich aufhielt.

Soldaten hätten Jordan Peterson in der Wiener Innenstadt begeistert angeredet, ein Taxifahrer auch – so erzählt man mir vor dem Interview. Kein Wunder, über YouTube hat der 60-jährige Kanadier ein Millionenpublikum. Und sein Erfolg macht auch vor Europa nicht ganz halt.

Nun hat Peterson einige Tage als Gast in einem österreichischen Kloster verbracht (dessen Identität sein Manager aus Sicherheitsgründen geheim zu halten bat). Es ist zugleich auch eine Schreibklausur: Peterson arbeitet an einem Buch über die Genesis als Reservoir universaler Menschheitslehren.

Im blitzblauen Anzug mit verspielt-bunter Krawatte erscheint er zum Gespräch. Etwas anders als im von Fotos und Videos bekannten akademisch-konservativen Stil, doch ebenso penibel gepflegt – bis in die Fingerspitzen. Die Kerzen im kargen Raum zündet Peterson sofort an. Sein Abendessen, viel Steak ohne Beilage, wird bald darauf gebracht (angeblich wegen Unverträglichkeiten seine einzige Nahrung). Auf mich wirkt der auffallende Blick auf kalte, schneidende Weise intensiv; ich erwähne diesen subjektiven Eindruck, weil Persönlichkeitswirkung zum Phänomen Jordan Peterson zählt: Es sind eben nicht nur seine Aussagen, die ihm Hunderte Millionen YouTube-Klicks bringen.

Bekannt wurde der Psychologe und langjährige Uni-Professor 2016 mit seiner Opposition gegen ein Gesetz zu Transgender-Personen. Peterson kritisierte, sexuelle Identität würde dadurch zu etwas rein Subjektivem erklärt. In den folgenden Jahren brachten seine Web-Auftritte gegen „Political Correctness“, gegen Wokeness, gegen Genderpolitik und Identitätspolitik ihm Millionen von Fans - vor allem unter nordamerikanischen, häufig christlichen Männern. Jordan Peterson verbindet dabei Gesellschaftskritik mit Lebensberatung: Sein Buch „12 Rules for Life“ wurde ein Millionenbestseller, „12 More Rules for Life“ folgten. Sein YouTube-Kanal hat heute fast sieben Millionen Abonnenten.

Thinktank „The Arc“: „Die Konservativen brauchen Hilfe"

Nun will Peterson einen Thinktank mit Sitz in London gründen, The Arc. Und er hat ein „konservatives Manifest“ veröffentlicht. Ob diese Projekte verbunden seien, frage ich ihn: Ob er international Verbündete sammle für eine konservative Renaissance?

„Ursprünglich wollte ich keine konservative Ideologie entwickeln“, sagt er. „Aber die Konservativen haben ihren Job so schlecht gemacht, dass sie Hilfe brauchen. Konservative neigen zur Erhaltung des von Menschen Aufgebauten, dafür braucht man normalerweise keine Vision. Aber an einem Punkt, an dem alles, was Menschen vor uns aufgebaut haben, bedroht wird, muss man Tradition als Vision wiedergewinnen.“

Früher bezeichnete sich Jordan Peterson zum Ärger seiner Kritiker auch als klassischer Liberaler in britischer Tradition, jetzt tut er das selbst nicht mehr, warum nicht? “Der Liberalismus geht davon aus, dass der Ort der Einheit das Individuum ist“, erwidert Peterson. „Um aber in sich selbst eine Einheit zu finden, braucht es eine harmonische Einheit mit anderen. Die klassischen liberalen Denker nahmen diese gesellschaftliche Einheit als gegeben an. Zu ihrer Zeit gab es aber eine religiöse Orientierung, die alles überwölbte. In einer solchen Gesellschaft konnte man ein Liberaler sein.” 

In seinem „konservativen Manifest“ postuliert Peterson 13 sehr vage beschriebene Grundprinzipien – unter anderem Wahrheit, Gemeinschaft, Identität, Verantwortung, Autonomie und Gerechtigkeit. Auf solche Begriffe würden sich auch ganz konträr Denkende berufen, bemerke ich, Peterson stimmt zu. Ihren eigentlichen Sinn bekämen diese Werte erst durch etwas verbindendes „Höheres“, auf das hin sie orientiert seien.

Den positiven seelischen Effekt der Orientierung auf etwas „Höheres“ und der Orientierung an „Tradition“ beschreibt Jordan Peterson, der sich auch als Seelenhelfer versteht, fast austauschbar. Etwas, was einem die Angst nimmt, einem Einheit schenkt: Das fällt im Gespräch mantraartig immer wieder. „An Antidote to Chaos“, hieß schon der Untertitel seines Buchs „12 Rules for Life“. Das Chaos, der soziale Konflikt, ist für ihn von jenen verursacht, die sich gegen das „Höhere“, gegen die „Tradition“ stellen.

„Ewige Wahrheiten“ für jene, die „dursten und hungern“

Wenn etwas „Höheres“ nicht nur den Einzelnen mit sich ins Reine bringen, sondern auch die Gesellschaft verbinden (und Petersons konservativen Prinzipien überhaupt erst ihren Sinn geben) soll, müsste es konkretisiert werden; im Manifest ist das nicht der Fall. Peterson hält das aber für eine entbehrliche, weil rein „technische Definition“. Das Höhere sei für jeden etwas anderes, sagt er. Andererseits betont er, das Höhere sei etwas, was man selbstverständlich spüre: „Zum Beispiel als kulturelle Hierarchie der Tiefe, wenn man einen Dostojewski-Roman mit ,Fifty Shades of Grey‘ vergleicht. „Oder warum kommen so viele Touristen nach Europa, um sich die Kathedralen anzusehen? Auch das Konzept der ehelichen Treue ist die Erfahrung von etwas Höherem. Damit ist man schon im Bereich des Religiösen. Man kann nicht nicht religiös sein.“

Einen religiösen Ton schlägt auch Petersons Manifest an. Ein „mutiger Glaube an die traditionellen Werte unserer Vergangenheit“, heißt es da, ermögliche es, die „heute preisgegebenen ewigen Wahrheiten“ zu vermitteln, und zwar all denen, die derzeit in ihrer Abwesenheit „dursten und hungern“. Peterson geriert sich hier nicht nur als Seelenhelfer, sondern als spiritueller Führer. Und gerade das Nebulöse der (wenngleich christlich geprägten) religiösen Bezüge ist es, das ihn so erfolgreich macht.

Geprägt von Dostojewski und Nietzsche

Der Name Dostojewski fiel vorhin nicht zufällig. Zwar wird Jordan Peterson oft als „konservativer Intellektueller“ präsentiert. Wer allerdings mit ihm über historische konservative Strömungen oder auch einen liberalen Philosophen wie John Stuart Mill diskutieren will, kommt nicht weit. Sichtlich bekannter sind ihm die Nihilismus-Debatten des 19. Jahrhunderts. Dostojewski und Nietzsche haben ihn als Studenten beeinflusst, „als mich das Problem des Bösen zu beschäftigen begann“. Auch deshalb wechselte er von der Politikwissenschaft zur Psychologie.

Ein zweiter Grund sei die marxistische Ausrichtung der Politikwissenschaft gewesen. Prägend war auch Solschenizyn, der sich im Gulag vom Atheismus abkehrte. Wie dieser meint Peterson: „Die bösen Folgen des marxistischen Projekts waren Teil des Systems.“

Hatte Foucault auf Gräbern Sex mit Buben?

´Foucault hatte Sex am Friedhof mit jungen Burschen´, behauptet Jordan Peterson. Hier bei einem Vortrag in Toronto.
´Foucault hatte Sex am Friedhof mit jungen Burschen´, behauptet Jordan Peterson. Hier bei einem Vortrag in Toronto. (c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)

Heute sieht Peterson ungeachtet wissenschaftlichen Widerspruchs die marxistische Ideologie am Grunde der von ihm kritisierten linken gesellschaftlichen Bewegungen – und als Hauptschuldige an dieser Entwicklung die postmodernen Philosophen. „Der Marxismus sah die Welt als Schlachtfeld zwischen Menschen unterschiedlicher Klassen“, meint er, „Foucault verallgemeinerte das und sagte, die Welt ist ein Schlachtfeld zwischen Menschen unterschiedlicher Identitäten. Für ihn ist der Kampf um Macht die Basis aller Beziehungen: Wir haben kein gemeinsames Fundament, du beförderst deine Interessen, ich meine, sehen wir, wer weiterkommt. Das ist ein trostloser Standpunkt.“ Foucault sei eine „dunkle Person“ gewesen, sagt er zu mir auch, „er war der Typ, der Sex mit Kindern auf dem Friedhof hatte“. Diese vor Jahren aufgekommene Geschichte entpuppte sich zwar bald nach ihrem Erscheinen als ohne Hand und Fuß, verbreitete sich aber in rechten Internetkreisen.

Peterson sagt im Gespräch auch immer wieder Dinge, auf die sich wohl ein Gutteil der Gesellschaft, ob in Europa oder Nordamerika, einigen könnte: Etwa, dass Buben heute zu wenig direkte Ermutigung bekämen. Dass Geschichte sich nicht auf den Kampf zwischen (männlichen, weißen) Unterdrückern und Unterdrückten reduzieren lasse. Dass Identität nie nur subjektiv sei, sondern immer auch in einer Gemeinschaft verhandelt werde. Dass das Eheversprechen den Vorteil habe, Ambiguität zu verringern und das „commitment“ zu stärken. Oder auch, ganz grundsätzlich: „Niemand, der noch bei Verstand ist, will maximale Freiheit. Vor allem nicht, wenn man verletzlich ist.“

Konservativ? Eine gewaltige Unterschätzung

Das „große Narrativ“, das Peterson anstrebt, führt allerdings weit über das hinaus, was man in Europa als konservativ bezeichnen würde. Peterson stellt eine Gegenwart, die er durch die Schuld der „Progressiven“ (der Linken) als von „Angst, Hoffnungslosigkeit und sozialem Konflikt“ geprägt sieht, in Gegensatz zu einer imaginären Gesellschaft der Vergangenheit. Er suggeriert eine mögliche und einst vorhandene Einheit und Harmonie, geprägt von der Anbindung an etwas „Höheres“, erwirkt und aufrechterhalten ohne Zwang und Macht. Außerdem suggeriert er eine direkte Verbindung zwischen konkreten, von ihm propagierten Lebensformen und dem „Höheren“.

Dazu konstruiert er rhetorisch Scheinoppositionen, die alle Zwischenräume eliminieren. Die einzige Alternative zum gotterfüllten Dostojewski ist in dieser Rhetorik ein schlechter Sadomaso-Roman. Oder, um einen Satz aus dem „konservativen Manifest“ herzunehmen ("The goal of love should be marriage, not sexual satisfaction"): Wer nicht heiratet, sucht nur sexuelle Befriedigung, suggeriert diese Rhetorik. Versucht man hier übrigens den Begriff „love“ zu definieren, damit der Satz wirklich einen Sinn ergibt, kann im Gespräch auch Peterson selbst nicht helfen. Solche Sätze müssen aber auch nicht immer präzise sein, es genügt, dass sie „triggern“. Auch die dämonisch klingende Geschichte von Foucaults angeblichen sexuellen Aktivitäten auf Friedhöfen passt gut in Petersons manichäisches Weltbild.

Einem gemäßigten gebildeten Publikum wird Peterson immer wieder als „konservativer Intellektueller“ verkauft. Letzteres Wort überschätzt ihn. Ersteres unterschätzt ihn.

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