Chemie

Biologisch abbaubare Zigarettenfilter und reine Fasern

Was man tun kann, um Alltagsprodukte noch „grüner“ zu machen? Das finden Forschende des neuen Christian-Doppler-Labors an der Boku Wien heraus. Ihr Ansatz: Herstellungsschritte und Materialien durch die Verwendung nachwachsender Rohstoffe ökologisch verträglicher machen.

Viele Alltagsgegenstände wie Papiertaschentücher oder Kaffeefilter sind Hightech-Produkte“, sagt Hubert Hettegger. „Da steckt immens viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit dahinter.“ Hettegger ist Assistenzprofessor für Chemie mit Schwerpunkt Grüne Chemie an der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien, Standort Tulln, und Leiter des am Freitag eröffneten Christian-Doppler-Labors für Cellulose Hightech-Materialien. Ziel des CD-Labors ist, dazu beizutragen, dass Produkte des täglichen Lebens „grüner“, also nachhaltiger, werden – und zwar durch den verstärkten Einsatz von Cellulose bzw. Cellulose-basierten Materialien sowie durch Optimierung von Prozesstechnologien bei Produkten, die bereits aus Cellulose hergestellt werden.

Dabei werde es unter anderem darum gehen, Materialien und Prozesschemikalien zu ersetzen, für deren Erzeugung derzeit Erdöl verwendet wird, sagt der Forscher. „Erdöl steckt in Fasern von Kleidungsstücken, in Plastik, in Farbstoffen und vielem mehr. Dass es eine erschöpfliche Ressource ist, davon können wir ausgehen. Cellulose hingegen, ein Hauptbestandteil von Holz, wächst nach, und zwar in einem Ausmaß von mehreren Teratonnen weltweit pro Jahr. Wenn wir auch in Zukunft nicht auf viele Alltagsprodukte verzichten wollen, müssen wir uns also jetzt schon Alternativen überlegen, und hierbei leistet Cellulose einen wichtigen Beitrag.“

Bei Papieren und Textilien sind es die Herstellung und die Oberflächenbehandlung, die umfangreiche Forschungsarbeit erfordern. Papiere erhalten durch Modifizierungen besondere Eigenschaften, werden beispielsweise reißfest, nassfest oder faltstabil. Hier gilt es ebenso wie beispielsweise bei Zigarettenfiltern, nachhaltigere Lösungen zu finden. „Solche Filter werden zwar aus einem Cellulose-Derivat hergestellt, sind aber in der Natur schwer abbaubar.“ So erklärt Hettegger, warum die Forscherinnen und Forscher des CD-Labors, in Zusammenarbeit mit der Papierfabrik Wattens, auf der Suche nach biologisch abbaubaren Alternativen sind.

Verfärbungen vermeiden

Gemeinsam mit der Lenzing AG sind die Wissenschaftler einer ökologisch noch verträglicheren Technologie zur Herstellung von Cellulose-Fasern für hochwertige Textilprodukte auf der Spur. Das Problem dabei sei der Einsatz von Chemikalien zur Stabilisierung von Mitteln, die das Auflösen des Grundstoffs Cellulose erleichtern, sagt Hettegger. Diese Chemikalien seien teuer und könnten überdies zu einer unerwünschten Verfärbung der Fasern führen, deren Beseitigung weitere Prozessschritte erfordert. Im Rahmen des CD-Labors sollen günstigere, umweltfreundliche und effiziente Möglichkeiten gefunden werden, um das Auflösen der Cellulose zu unterstützen, ohne dass es beispielsweise zu Verfärbungen kommt.

Um Textilherstellung geht es auch in einem weiteren Forschungsvorhaben: Mit dem Vienna Textile Lab als Unternehmenspartner soll die Gewinnung von Textilfarbstoffen aus Bakterien durch den Einsatz von modernen Lösungsmitteln nachhaltiger gestaltet werden.

Und auch die Metadynea Austria GmbH in Krems ist im CD-Labor mit an Bord. In einem Teilprojekt geht es um alternative Binde- und Leimungsmittel für Holz, deren Ausgangsstoffe derzeit vielfach erdölbasiert und giftig sind.

„Im CD-Labor betreiben wir anwendungsorientierte Grundlagenforschung“, erklärt Hettegger. „Wir versuchen also, Materialien und Prozesse in der Cellulosechemie wie etwa das Auflösungsverhalten oder Abbaumechanismen sowie die Eigenschaften Cellulose-basierter Materialien auf molekularer Ebene besser zu verstehen und zu charakterisieren.“ Die Ergebnisse sollen über die konkreten Forschungsprojekte hinaus Anwendung finden. Ein besonderes Anliegen ist es den Forscherinnen und Forschern, „Greenwashing“ zu vermeiden. „Eine wirklich ,grüne‘ Erzeugung berücksichtigt auch Faktoren wie die Gewinnung der Rohstoffe, eingesetzte Hilfsmittel, die Recyclingfähigkeit, Energieflüsse sowie Abbau- und Nebenprodukte“, sagt Hettegger. Die Forschung im Rahmen des CD-Labors soll auch diesen Aspekte miteinbeziehen.

In Zahlen

4,5 Billionen Zigarettenfilter landen jährlich in der Umwelt. Es dauert viele Jahre, bis sie sich so weit zersetzen, dass sie mit freiem Auge nicht mehr sichtbar sind. Bis alle Mikropartikel weg sind, dauert es geschätzte 400 Jahre. Eine einzige Zigarettenkippe kann 60 Liter Grundwasser mit ihrem Mix aus Toxinen verunreinigen.

10.000
Liter Wasser braucht die landwirtschaftliche Gewinnung von einem Kilo Baumwolle. Holzbasierte Fasern, die man stattdessen zur Erzeugung von Textilien verwenden kann, benötigen rund 500l Wasser/kg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.