Pizzicato

Das tapfere rote Einzelblümchen

WG
  • Drucken

Am Straßenrand neben einem gemähten Rasen ragte eine einzelne Mohnblume strahlend rot aus dem Spalt zwischen Randsteinen. An sich haben sie's meist lieber in Gruppen. Diese roten Blumen haben mancherorts eine besondere symbolische Bedeutung.

Herrliche Wochen jetzt, nach der Zeit zarten Beginns mit steigender Tendenz in feinen Trieben, Äderchen und Ästen des Lebens. Alles grünt und blüht, vor allem der Klatschmohn, diese vielen roten Punkte, die Wiesen, Ackerränder und silbriggrüne Frühgerstefelder besprenkeln. Sieht man im urbanen Umfeld so selten wie manch anderes Schöne auch.

Sie treten gern in Massen auf oder in lokalen Banden, bisweilen im Verein etwa mit blauen Kornblumen. Also staunte ich jüngst: Da war in diesem Industriegebiet südlich von Wien ein frisch gemähter Rasenstreifen am Straßenrand, getrennt vom Asphalt durch graue Randsteine, und just aus der grashalmschmalen Fuge zwischen zwei Randsteinquadern ragte eine solitäre Mohnblume hoch und leuchtete in der Sonne. Weit und breit keine andere Blume, kein Kräutlein oder sonst ein Gewächs höher als der gemähte Rasen. Tapferes Ding.

Mohn zählt zu den sogenannten Pionierpflanzen; das sind solche, die Brachen und frisch verändertes Erdreich zuerst besiedeln, etwa bei Baustellen, Baggergruben, Erdhaufen. Im Mai 1915 inspirierten Mohnblumen (Englisch: Poppies) auf frischen Soldatengräbern bei Ypern in der belgischen Region Flandern den kanadischen Arzt und Offizier John McCrae (1872-1918) zu einem legendären Kriegsgedicht. Hier nur der erste von dessen drei Absätzen:

In Flanders Fields

In Flanders fields the poppies grow*
Between the crosses, row on row
That mark our place: and in the sky
The larks, still bravely singing, fly
Scarce heard amid the guns below.

Im Jänner 1918 starb McCrae in Frankreich an Folgen einer Lungen- und Hirnhautentzündung. Sein Gedicht wurde rasend schnell populär und war Hauptgrund, wieso seither Mohnblüten aus Papier oder Plastik in angelsächsischen Ländern, in britischen Überseebesitzungen und vielen Staaten des Commonwealths als „Remembrance Poppies" (Erinnerungsmohnblumen) zum Symbol des Gedenkens an Kriegsopfer benutzt werden; man schmückt damit etwa Gräber und Denkmäler, trägt sie an der Kleidung. In manch anderen Ländern ist das auch so, sogar in der Ukraine haben sie damit angefangen.

Im Australian War Memorial in Canberra, diesem großartigen Bauwerk, fand ich einst an der riesigen Mauer mit den Namen Gefallener ein Poppy neben dem Namen „Greber, Albert“ (gefallen 5. Jänner 1917 bei Armentières, Nordfrankreich; 41. australisches Infanteriebataillon). Wir sind nicht verwandt, aber das saß dann doch irgendwie.

Tapfere kleine einsame rote Blume, die hier südlich von Wien am Straßenrand. Bald wird sie wieder weg sein. Aber es gibt viele Brachländer, Baustellen, Schlachtfelder. Und nein, mit der SPÖ hat das jetzt alles nix zu tun. Außerdem haben die ja rote Nelken. (wg)

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

*Man liest statt „grow" auch oft „blow", was poetisch/veraltet auch „aufblühen" bedeuten kann, deutsche Leser aber leicht irritiert, wenn sie es als „blasen" verstehen. In McCraes erster handschriftlicher Notiz auf Papier steht „grow", doch hat er später auch „blow" benützt und es ging so auch in Druck. Es gibt bis heute Debatten, wie es „richtig" lauten soll.

>>> Link zu In Flanders Fields

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.